Dass dieser Stein ins Rollen kam, ist dem Engagement des Lehrers Roman Mehler von der Martin-von-Tours-Schule zu verdanken, der an die Stadt herantrat und mit seinen Schülerinnen und Schülern intensive Recherchen zum Schicksal der Sterns durchführte.
Inzwischen hat sich eine feste Arbeitsgruppe gebildet, die aus Mitarbeitern der Schule, engagierten Neustädtern und der Stadtarchivarin Andrea Freisberg besteht. Gemeinsam haben sie alle mit Unterstützung der Mitarbeiter der Stadt Neustadt dazu beigetragen, dass diese erste Verlegung nun stattfinden konnte.
Vor dem Haus Nummer 7 verlegte der Künstler Gunter Demnig insgesamt sechs Stolpersteine: zwei für das Ehepaar Karl und Erna Stern, drei für die gemeinsamen Kinder Harry, Ellen und Marion sowie einen für die Schwiegermutter Betty Abraham.
Im Frühjahr 1941 musste die Familie ihr Haus verlassen. Zusammen mit anderen jüdischen Familien lebten sie für kurze Zeit in der Bogenstraße 1, dem Haus des jüdischen Gemeindevorstehers Sally Levi. Am 20. Mai 1941 wurden sie zusammen mit allen verbliebenen Neustädter Jüdinnen und Juden nach Weimar-Roth bzw. Fronhausen zwangsumgesiedelt. Von dort aus erfolgte dann ihre Deportation in verschiedene Ghettos und Konzentrationslager.
Den Menschen wieder ein Gesicht gegeben
Während Künstler Gunter Demnig Stein für Stein in den Boden setzte, trugen Schülerinnen und Schüler der Klasse 10a der Martin-von-Tours-Schule die Biografien aller Familienmitglieder bis zum Zeitpunkt ihrer Vertreibung vor.
Ihren weiteren Lebenslauf schilderte dann Stadtarchivarin Andrea Freisberg. Glücklicherweise war es gelungen, zu jeder Person ein Foto ausfindig zu machen, sodass diese Menschen, die einstmals Teil der Neustädter Bevölkerung waren, wieder ein Gesicht bekamen. Darunter Karl Stern, der in den 1920er-Jahren im Neustädter Radsport aktiv war.
In seiner Rede räumte Bürgermeister Thomas Groll ein, dass die Geschichte der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Stadt allzu lange verdrängt worden sei. Erst seit wenigen Jahren gebe es ein aktives Gedenken - mit der Gedenkbank von Hans Schohl, regelmäßigen Gedenkveranstaltungen und nun auch mit den ersten Stolpersteinen. Er betonte, dass die Verlegung dieser Stolpersteine weitergehen müsse und von der Stadt unterstützt werde.
Kreisbeigeordneter Klaus Weber, der als Vertretung für Landrat Jens Womelsdorf vor Ort war, machte deutlich, wie wichtig es für junge Menschen sei, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Aber auch den Älteren täte es gut, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, ohne dabei die Geschichte aus dem Zusammenhang zu reißen und verfälscht wiederzugeben.
Das Programm wurde durch musikalische Beiträge der Neustädter Karl-Josef Lemmer und Thomas Faber sowie Kerstin Richter-Broska begleitet. Mit einer Blumenniederlegung und dem Gebet »El Male Rachamim«, gesprochen von Klaus Schmermund, dem Gemeinderat der Jüdischen Gemeinde Marburg, endete die erste Stolpersteinverlegung in Neustadt.
An einigen öffentlichen Stellen in der Stadt sind Flyer ausgelegt, die über das Kunstprojekt Stolpersteine und das Schicksal der Familie Stern informieren.