03. Juni 2025, 13:00 Uhr

Neustadt

Christian Wulff über Entwicklungen in Europa

Zu Gast in Neustadt war der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff, der weiterhin Repräsentant Deutschlands in Vertretung von Bundespräsident oder Bundeskanzler ist.
03. Juni 2025, 13:00 Uhr
Christian Wulff rief unter anderem dazu auf, sich mehr für die Demokratie einzusetzen, die aktuell mehreren Gefahren ausgesetzt sei. Foto: Stadt Neustadt

Christian Wulff (Jahrgang 1959) blickt auf ein langes politisches Leben zurück, das bereits 1978 als Vorsitzender der Schüler-Union Niedersachsen begann. Über den Rat der Stadt Osnabrück gelangte er in den Niedersächsischen Landtag und wurde dort 2003 zum Ministerpräsidenten gewählt. Das Amt übte er bis 2010 aus, als er von der Bundesversammlung zum zehnten Präsidenten der Bundesrepublik gewählt wurde. Seine Amtszeit endete 2012 mit seinem Rücktritt. Der Christdemokrat engagiert sich aktuell vielfach ehrenamtlich, etwa als Vorsitzender des Deutschen Chorverbands.

Einführung von Bürgermeister Thomas Groll

Die Veranstaltung, zu der Neustadts Bürgermeister Thomas Groll als Gäste auch die Landtagsabgeordneten Dirk Bamberger und Sebastian Sack, den ersten Kreisbeigeordneten Peter Neidel, aktive und ehemalige Bürgermeister aus der Region und den evangelischen Dekan Jens Heller begrüßen konnte, wurde vom »Trio Semplice con Pianoforte« musikalisch begleitet. Dass erneut fast 180 Gäste den Weg zu diesem »lebendigen Geschichtsunterricht« im KubüZ fanden, zeigt die Beliebtheit der Veranstaltungsreihe über Neustadt hinaus.

Bürgermeister Thomas Groll stellte in seinen einleitenden Worten den 8. Mai 1945, den Tag der Kapitulation des Dritten Reichs, bezugnehmend auf einen Artikel des Nachrichten-Magazins »Focus« als einen widerspenstigen Gedenktag dar. Er markiere Deutschlands Untergang vor achtzig Jahren und ermöglichte zugleich ein westliches Bündnis, dass sich jetzt wieder bewähren müsse. »Der 8. Mai 1945 ist der Anfang der Freiheit gewesen und gehört entsprechend gewürdigt«, sagte Groll.

Neuanfang für Deutschland und Europa

Christian Wulff erhielt für seine rund einstündige Ansprache langanhaltenden Beifall. Zunächst lobte er das Engagement von Kommune und Bürgermeister für diese Veranstaltungsreihe, die dazu beitrage, demokratisches Bewusstsein zu entwickeln, und zeigte sich erfreut über die große Anzahl der Besucher.

Wulff stellte den 8. Mai 1945 als einen Neuanfang für Deutschland und Europa dar. Er dankte den USA, Großbritannien und Frankreich, aber auch der damaligen Sowjetunion für ihren Kampf gegen das Hitler-Regime und betonte weiter, dass man auch in Zeiten des Ukraine-Kriegs das Putin-Regime nicht mit dem gesamten Russland gleichsetzen dürfe.

Der Gast aus Hannover verglich das Leben eines 65-Jährigen, der wie er 1959 geboren sei, mit dem Leben eines 65-Jährigen, der 1894 auf die Welt kam. Seine Generation, so Christian Wulff, habe das Wirtschaftswunder, den Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs, die Wiedervereinigung und 80 Jahre Frieden in Deutschland gelebt. Menschen, die um die Jahrhundertwende geboren seien, hätten hingegen zwei Weltkriege, Wirtschaftskrisen und die Spaltung Europas durchleben müssen.

»Wir sollten alle weniger jammern und zugleich ein wenig mehr für unsere Demokratie eintreten, die gerade heute vielfältigen Herausforderungen, aber auch wirklichen Gefahren ausgesetzt ist«, sagte Wulff. Das Grundgesetz von 1949 beinhalte das Versprechen »Nie wieder«. Nie wieder Krieg ausgehend von Deutschland, nie wieder Unfreiheit, nie wieder Rassismus und nie wieder Gewalt gegen Minderheiten. Daran müssten wir uns heute messen lassen. »Nie wieder« sei gerade heute. Kritisch setzte sich Wulff mit der AfD auseinander, der er Populismus und ein ungeklärtes Verhältnis zum demokratischen Rechtsstaat vorwarf.

»Mit Sorge müssen uns alle die Entwicklungen in den USA, in Russland, aber auch der Türkei erfüllen. Da wird Hand an die Demokratie angelegt. Daher ist es umso wichtiger, dass wir ein starkes Europa haben. Dies war eine Errungenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und daran müssen wir uns gerade heute nicht nur erinnern, sondern etwas dafür tun«, erklärte Christian Wulff.

Kritisch setzte sich der ehemalige Bundespräsident mit dem Internet und der Künstlichen Intelligenz auseinander. Beides könne nützlich, aber leider auch sehr gefährlich sein. »Früher hat sich jeder seine Meinung über die Tageszeitung und die Nachrichten im Fernsehen gebildet. Jeder war auf dem gleichen Stand. Heute suchen sich viele ihre Wahrheiten im Netz und bei KI. Oftmals merken sie dabei nicht, dass sie Fake News aufsitzen. Hier ist Wachsamkeit nötig«, teilte Wulff mit.

Zum Abschluss bat er alle Anwesenden, ihren kleinen Beitrag zum Erhalt unserer Demokratie zu leisten.

Neustadts Bürgermeister Thomas Groll dankte dem ehemaligen Staatsoberhaupt für seine engagierte Rede und gab den Besuchern Worte Richard von Weizsäckers aus dessen berühmter Rede vom 8. Mai 1945 mit auf den Heimweg: »Ehren wir die Freiheit. Arbeiten wir für den Frieden. Halten wir uns an das Recht.« Worte, die auf dem Ehrenmal der Stadt Neustadt stehen.

Mit der Eintragung Christian Wulffs in das Goldene Buch der Stadt klang die Veranstaltung aus.

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