Mehr als 200 Bands aus Stadt, Landkreis und Umland haben hier die Möglichkeit, künstlerisch tätig zu werden. Doch die Gebäude in der Netanyastraße sind in die Jahre gekommen und energetisch nicht mehr tragbar. Das Aus für die regionale Musikszene soll das aber nicht bedeuten; so haben Stadt und Landkreis Gießen gemeinsam mit Eigentümer Daniel Beitlich nach einer Lösung gesucht und sie in einem Fördervertrag gefunden, den nun alle Beteiligten unterzeichnet haben.
»Wegfall wäre Katastrophe«
Wer selbst in einer Band spielt und sich in der Musikszene auskennt, der weiß: Günstige Proberäume sind nur schwer zu bekommen. So war es bereits im Jahr 1996, als die Kulturinitiative Gießen gegründet wurde, um den Proberaumnotstand in der Stadt Gießen zu beheben. Und so ist es auch heute: »Ein Wegfall der Räumlichkeiten im Europaviertel wäre eine Katastrophe für den Landkreis als Kulturstandort und den Erhalt der Musikszene insgesamt. Diese Proberäume sind bundesweit so einzigartig, dass es für alle Beteiligten keine Option war, sie endgültig zu schließen«, sagt Landrätin Anita Schneider.
Und dennoch: Heizung und Elektrik sind längst überholt, der Brandschutz nicht mehr ausreichend gewährleistet, Fenster und Türen müssen dringend ausgetauscht werden. Darauf hat Eigentümer Daniel Beitlich 2022 erneut hingewiesen: »Die Räumlichkeiten waren schon im Jahr 2000 nur als Übergangslösung gedacht - diese Übergangslösung besteht nun seit 25 Jahren, weil das, was sich hier entwickelt hat, einfach großartig ist. Jetzt sind die Gebäude endgültig ,abgerockt‹ und wir kommen um eine Sanierung nicht mehr herum.«
Kosten nur bedingt auf Mieter umgelegt
In den nächsten Wochen wird diese Sanierung anlaufen und in den folgenden zwölf Monaten im laufenden Betrieb durchgezogen. Wichtig dabei sind die Modernisierung der Technik und der Energetik, während der Charme des Gebäudes mit all seinen Plakaten, Graffitis und Besonderheiten erhalten bleiben soll.
Die Kosten für die Sanierung belaufen sich auf rund 380.000 Euro, die eigentlich komplett auf die Mieter und damit die 688 Mitglieder der Kulturinitiative Gießen, die allesamt Kulturschaffende sind, umgelegt werden müssten. »So sehr wir die nötige Sanierung nachvollziehen konnten, so sicher waren wir auch, dass sie das Aus für zahlreiche Bands bedeutet hätte, die sich die steigenden Kosten nicht mehr hätten leisten können«, schildert Frank Altmeier, Vorsitzender der Kulturinitiative.
Altmeier und seine Mitstreiter entschieden sich, das Gespräch mit der Stadt Gießen zu suchen - und stießen auf offene Ohren: »Diesen Standort in Zeiten knapper Kassen zu erhalten, ist nicht ganz einfach. Und doch sehen wir Kultur als Teil unserer Daseinsfürsorge und wissen um die Bedeutung der Proberäume für die regionale Musikszene. Wir sind dankbar, dass Investor Beitlich die Räume weiter zur Verfügung stellt und nicht - wie ursprünglich gedacht - einer Nutzung als Büroräume - zuführt«, sagt Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher.
25.000 Euro pro Jahr
Die Stadt Gießen holte schließlich auch den Landkreis mit ins Boot; gemeinsam entschieden sich die Beteiligten, die Kulturinitiative Gießen für die nächsten zehn Jahre mit je 25.000 Euro pro Jahr zu unterstützen. Insgesamt also 50.000 Euro pro Jahr, die eine Mieterhöhung für die Kulturschaffenden zwar nicht verhindern, aber doch deutlich reduzieren können: »Wir bleiben - wie auch schon in den vergangenen Jahrzehnten - ganz erheblich unter der Regelmarktmiete und freuen uns, dass wir der Kulturinitiative und all ihren Mitgliedern diese Unterstützung nun anbieten können«, sagt Oberbürgermeister Becher, der den Fördervertrag gemeinsam mit Landrätin Schneider und KiG-Vorsitzendem Altmeier vor Ort in den Räumlichkeiten der ehemaligen Mannschaftsgebäude der Bundeswehr unterzeichnet hat.
Kreativ und künstlerisch tätig werden - für die nächsten zehn Jahre ist das an diesem außergewöhnlichen Ort der Musik weiterhin möglich.