Anlässlich der 1.050 Jahre Reiskirchen trafen sich seit September 2024 der Ortsbeirat und Vertreter von Vereinen, um für das Jahr 2025 eine Jubiläumsfeier auf die Beine zu stellen. Im Hinblick auf Reiskirchens Ersterwähnung vom 24. Mai 975 sollte im Mai 2025 die erste Auftaktveranstaltung rund um die Kirche und den alten Pfarrhof stattfinden. Für den zweiten Festakt plante man im Zusammenhang mit der Reiskirchener Kirmes, im Juli einen Festumzug durch die Straßen zu veranstalten. Krönender Abschluss sollte im Oktober im Bürgerhaus eine Veranstaltung sein, bei der die heimatgeschichtliche Vereinigung Schlaglichter aus der Geschichte präsentieren wollte.
Nun liegen die Planungen wieder auf Eis. Grund dafür: Nach einem neuen Gutachten des Hessischen Staatsarchivs in Darmstadt gilt nicht mehr das Jahr 975, sondern erst das Jahr 1238 als Datum der Ersterwähnung von Reiskirchen.
Zum Hintergrund: Im Jahr 1975 wurde in Reiskirchen die 1.000-Jahrfeier gebührend gefeiert. Zu diesem Anlass wurde der Gemeinde vom Ministerpräsident in Vertretung durch Staatssekretär Dr. Günter Bovermann) die Freiherr-vom-Stein-Plakette verliehen. Die Plakette kann Gemeinden und Städten verliehen werden, die auf ein mindestens 750-jähriges Bestehen zurückblicken und das historische Ereignis im festlichen Rahmen - die Jubiläumszahl muss durch 25 teilbar sein - feiern wollen. Für diesen Akt muss ein urkundlicher Beleg über das Jubiläumsalter durch Vorlage einer aktuellen Stellungnahme des für die Gemeinde regional zuständigen Staatsarchivs erbracht werden.
Verwechselbar mit Reiskirchen bei Wetzlar
Die damalige Feier beruhte auf der Erwähnung von Reiskirchen in einer Urkunde Kaiser Ottos II., die am 24. Mai 975 in Frankfurt ausgestellt wurde. In dieser Urkunde schenkt Otto II. seinem Getreuen Otbreht die dem Gerrich gerichtlich entzogene Besitzung Reiskirchen, im Wortlaut: »proprietatem quippe Richolueschiricha nominatum in comitatu Hildilini comitis et in pago Logenahe situm«, in Übersetzung: die Besitzungen in Reiskirchen in der Grafschaft Hidelinis im Lahngau.
Diese Beschreibung kann jedoch nicht nur auf Reiskirchen im Landkreis Gießen, sondern auch auf Reiskirchen bei Wetzlar im Lahn-Dill-Kreis bezogen werden. Aus diesem Grund hat das Archiv in Darmstadt damals beiden Ortschaften genehmigt, sich bei ihrer Jubiläumsfeier auf die Ersterwähnung von 975 zu beziehen.
Die Archivarin der Gemeinde Reiskirchen stellte sich nun die Frage: Wie alt ist denn nun unser Reiskirchen? Hat sich der Forschungsstand in den letzten 50 Jahren weiterentwickelt? Antwort sollte ein Ersterwähnungsgutachten vom Staatsarchiv liefern. In einem Ersterwähnungsgutachten wird die Praxis angewendet, das erste sichere Datum aus einer verlässlichen Quelle als Datum der Ersterwähnung zu werten.
Ersterwähnung nun 1238
Nach gegenwärtigem Forschungsstand wird die Urkunde aus dem Jahr 975 weiterhin auf beide Orte bezogen, sodass eine eindeutige Identifikation nicht möglich ist. Nach der Überprüfung weiterer Quellen berichtet das hessische Staatsarchiv, dass in einer Urkunde des Klosters Arnsburg im Oktober 1238 ein »Siffridus plebanus de Richoluiskirchen« also ein Siegfried, Pfarrer von Reiskirchen, als Zeuge fungiert. Inhaltlich geht es in dieser Urkunde um einen Vergleich zwischen dem Kloster Arnsburg und dem Ritter Rudolf von Burkhardsfelden über strittige Gerechtsamen in »Hunclenrode« und »Heimenrode«.
Der aktuelle Forschungsstand in der Literatur sieht bei dieser Urkunde keinen Bezug zu Reiskirchen bei Wetzlar, sodass das Jahr 1238 als Datum der Ersterwähnung von Reiskirchen im Landkreis Gießen gelten kann.
Alter nicht zu beweisen
Das Datum der Ersterwähnung ist jedoch keinesfalls gleichbedeutend mit einem Gründungsjahr für Reiskirchen. Hier ist die Forschung sich einig: Der Ort existierte sehr wahrscheinlich bereits vor dem Jahr 1000, doch beweisen lässt es sich nicht. Sofern sich der Forschungsstand nicht wieder ändert, kann »unser« Reiskirchen im Jahr 2038 eine 800-Jahr-Feier feiern. Ein Konzept zur Jubiläumsfeier liegt ja nun schon vor.