03. November 2022, 13:00 Uhr

Marburg

Diskussion über Integration mit Bestsellerautor

Wie kommt es, dass gelingende Integration nicht zu Konfliktfreiheit, sondern wachsenden Konflikten führt? Bestsellerautor und Soziologe Dr. Aladin El-Mafaalani stellte diese Frage bei der Diskussion von »Marburg800 weiter denken«.
03. November 2022, 13:00 Uhr
Dr. Nkechi Madubuko (l.) moderierte das Gespräch zwischen Dr. Thomas Spies, Sylvie Cloutier (Vorsitzende des Ausländerbeirats), Marburgs Integrationsbeauftragter Xiaotian Tang und (per Video zugeschaltet) Dr. Aladin El-Mafaalani (v.l.). Foto: Heike Döhn/Stadt Marburg

Die Gesellschaft wird offener, freier und diverser, aber zugleich werden die Diskussionen über Diskriminierung, Integration und Rassismus immer aufgeheizter. Seine Thesen darüber, warum das so ist, hat Dr. Aladin El-Mafaalani in seinem Buch »Das Integrationsparadox« ausgeführt und unter dem Titel »Zukunft der Integration« vorgestellt.

Integration als Bringschuld

Mit einer Podiumsdiskussion wurden seine Ausführungen mit Blick auf Marburg näher beleuchtet. »Solange nicht jeder Mensch davon überzeugt sein kann, dass er in seiner Eigenart voll akzeptiert und Teil der Gesellschaft ist, solange müssen wir auch in einer weltoffenen Stadt wie Marburg über Integration reden«, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. »Integration ist eine Bringschuld derer, die schon immer da waren, gegenüber denen, die neu hinzukommen« - wobei Spies betonte, dass Integration sich nicht nur auf Menschen mit Migrationsbiografie beziehe.

Teilhabe ist größer geworden

Dr. Aladin El-Mafaalani, der per Video zugeschaltet war, eröffnete einen ungewöhnlichen und optimistischen Blick auf die Spannungen innerhalb der Gesellschaft. Er illustrierte seine Gedanken mit einem Bild: So hätten früher nur wenige am Tisch gesessen, an dem Entscheidungen getroffen und Privilegien verteilt wurden, alle anderen hätten gewissermaßen am Boden gesessen und nichts vom Kuchen abbekommen.

Nach und nach habe sich das aber verändert: Immer mehr Menschen könnten und wollten heute teilhaben, Menschen aus anderen Kulturen ebenso wie Menschen mit anderer sexueller Orientierung oder mit Behinderung. »Das sorgt natürlich für verstärkte Verteilungskonflikte am Tisch«, so der Referent. Auch die Frage, welcher Weg für eine Gesellschaft richtig ist, werde unterschiedlich bewertet.

Öffnung fördert auch Konflikte

Die »harmonischen« Zustände von früher seien im Grunde »katastrophale Zustände« gewesen, so der Osnabrücker Wissenschaftler. Die Konflikte, die heute zutage treten, seien also kein Rückschritt, sondern resultierten aus der größeren Öffnung der Gesellschaft.

Auf der anderen Seite mache sich bei denjenigen, die nach diesem Bild noch immer am Boden sitzen, Resignation und Wut breit, Parallelgesellschaften könnten entstehen.

Letztlich sieht der Bestsellerautor aber eine positive, wenn auch konfliktträchtige Entwicklung in Richtung offene Gesellschaft. Ob es auch in Marburg zu diesen »Verteilungskämpfen« am gesellschaftlichen Tisch komme, wollte Moderatorin Dr. Nkechi Madubuko von den Gesprächsteilnehmern wissen.

Integration werde in Marburg mitgedacht

Oberbürgermeister Spies wies darauf hin, dass es in Marburg nicht ganz so konfliktträchtig sei. »Integration ist bei uns in der Verwaltung ein Querschnittsthema, das überall mitgedacht werden muss.« Er verwies auf die Lenkungsgruppe Integration und das Gleichberechtigungsreferat. »Der politische Wille ist in Marburg da«, ergänzte die Vorsitzende des Ausländerbeirats, Sylvie Cloutier. »Man fragt nach unserer Meinung, wir können Anträge im Parlament stellen und sitzen in den Ausschüssen.« Auch die ehrenamtliche Integrationsbeauftragte Xiaotian Tang erklärte: »Alle Türen stehen mir offen.« Sie sei in vielen Arbeitsgruppen dabei und könne als Ehrenamtliche frei reden.

Viele Aspekte fördern Integration

»Vielleicht ist es am ›Tisch‹ hier in Marburg ruhiger, weil hier so viele Menschen sind, die gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit auf die Straße gehen, weil wir in der Debatte, die die Gesellschaft führt, schon sehr weit sind - und auch, weil jedes Jahr 5.000 junge Leute in die Stadt kommen«, sagte Spies. Viele gesellschaftliche Prozesse würden in Marburg früh und leidenschaftlich eingeleitet.

Wunschlos glücklich müsse man deshalb nicht sein - Xiaotian Tang wünschte sich, dass politische Bildung für Menschen mit Migrationshintergrund stärker in den Fokus genommen wird - bei 142 Nationalitäten in der Stadt gebe es ein diverses Verständnis von Demokratie. Politische Bildung sei wichtig, um selbstständig zu leben und etwas zur Gesellschaft beitragen zu können.

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