28. Oktober 2018, 11:00 Uhr

Marburg

Synonym für Verlässlichkeit

In feierlichem Rahmen haben Weggefährten und Interessierte anlässlich des 20. Todestags von Gerhard Jahn des einflussreichen SPD-Politikers gedacht.
28. Oktober 2018, 11:00 Uhr
Von links: Dr. Gerhard Dahlmanns, Prof. Hubert Kleinert, Moderatorin Brigitte Bohnke und Joachim Hofmann-Göttig zeichneten im Podiumsgespräch ein lebendiges Bild des Politikers Gerhard Jahn. Foto: Georg Kronenberg/Stadt Marburg

Jahn war von 1969 bis 1974 Bundesjustizminister, mehr als 30 Jahre Bundestagsabgeordneter und über 20 Jahre Stadtverordneter der Stadt Marburg. »Jahn war im wahrsten Sinne des Wortes ein Volksvertreter«, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies bei der Feier im Erwin-Piscator-Haus, bei der Jahn gewürdigt und von Politikern, die ihn kannten, lebendig gezeichnet wurde. Anwesend waren auch Jahns Witwe Ursula und sein Sohn Klaus.

Schicksalhafte Biografie

Spies wies ganz besonders auf das Schicksal Jahns während des Zweiten Weltkriegs hin, das ihn für sein Leben geprägt habe: »Seine jüdische Mutter Lilli Jahn wurde 1944 in Auschwitz ermordet, er selbst musste sich zum Ende des Krieges vor der Gestapo verstecken.« Jahn, der 1947 zum Studium der Rechtswissenschaft nach Marburg kam, das sein Zuhause wurde, ließ als Bundesjustizminister einen Gedenkstein vor dem Justizministerium mit dem Bibelzitat »Gerechtigkeit erhöht ein Volk« anbringen und »er stellte sein Leben in den Dienst dieser Gerechtigkeit«, so Spies.

1957 wurde Jahn erstmals in den Bundestag gewählt und blieb bis 1990 Mitglied. Er war stellvertretender parlamentarischer Geschäftsführer und Bundesminister für Justiz in der Regierung Willy Brandts, von 1956 bis 1978 Stadtverordneter und zwölf Jahre lang Stadtverordnetenvorsteher. Zudem war er von 1979 bis 1995 Präsident des Deutschen Mieterbundes. »Bei all dem war er stets Anwalt der kleinen Leute, dem kein Problem zu bedeutungslos war, wenn es einen Menschen drückte«, sagte Spies.

Vom Leitbild des mündigen Bürgers geprägt

Er würdigte Jahn als einen Mann, der Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Pragmatismus verband, der durch soziales Denken und Handeln, durch unermüdlichen Einsatz und untadelige Integrität überzeugte. Mit seinem unermüdlichen Arbeitseinsatz sei Jahn geradezu omnipräsent gewesen. Jahn wurde 1977 die Ehrenbürgerwürde der Stadt Marburg verliehen.

Jahn habe Rechtspolitik als Gesellschaftspolitik verstanden, bestätigte auch Christian Lange, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Er habe stets das Leitbild des mündigen Bürgers vertreten und das Strafrecht »entrümpelt und entmoralisiert«. So habe Jahn unter anderem dafür gesorgt, dass das Scheidungsrecht reformiert und das Verschuldungsprinzip durch das Zerrüttungsprinzip ersetzt wurde.

In einem Podiumsgespräch befragte die Marburger Journalistin Brigitte Bohnke drei Weggefährten Jahns nach ihren Erinnerungen und Eindrücken. Der ehemalige Staatssekretär und ehemalige Koblenzer Oberbürgermeister Prof. Dr. Joachim Hoffmann-Göttig erinnerte sich an Konfrontationen mit Jahn, der ihm als jungem Studenten und Juso (Jungsozialist) höchst autoritär vorgekommen sei. Das habe zu Konflikten geführt, doch Jahn sei jemand gewesen, der stets habe verzeihen können. Später habe er den Vorbildcharakter des immer korrekten und eher unnahbaren Politikers erkannt: »Er war mein politischer Ziehvater.«

Auch Prof. Hubert Kleinert, in den 80er-Jahren als Mitglied der Grünen im Bundestag und ebenso wie Jahn parlamentarischer Geschäftsführer, hatte es mit dem sehr distinguierten Jahn, der kein Interesse an kumpelhaftem Umgang gehabt habe, nicht immer leicht. Doch der Umgang sei immer von Respekt geprägt gewesen, erinnerte Kleinert.

Dr. Gerhard Dahlmanns, 1976 bis 1985 Bürgermeister für die CDU in Marburg, betonte, er sei sich mit Jahn zwar politisch nicht einig gewesen, aber menschlich sei der Umgang nie verletzend gewesen. Alle drei Teilnehmer am Podiumsgespräch hatten von der Hypothek der tragischen Lebensgeschichte Jahns und seiner Familie nicht gewusst, denn darüber sprach der SPD-Politiker nicht. Erst nach Jahns Tod erfuhren sie durch die Veröffentlichung des Buchs »Mein verwundetes Leben« mit den Briefen Lilli Jahns von diesen Hintergründen. »Hätte ich das damals gewusst, hätte ich vieles anders gesehen«, sagte Kleinert.

Doch auch wenn Gerhard Jahn auf andere förmlich und unnahbar wirken konnte, so sei er doch ein »Synonym für Verlässlichkeit« gewesen und habe sich dem Ziel, eine humane Lebensordnung aufzubauen, vollkommen verschrieben, resümierte Hoffmann-Göttig.

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