06. Februar 2024, 13:00 Uhr

Marburg

16.000 Menschen bei »Marburg gegen Rechts«

Riesige Menschenmengen waren unterwegs: Rund 16.000 Menschen haben ein deutlich sichtbares Zeichen gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie gesetzt.
06. Februar 2024, 13:00 Uhr
Fahnen, Schilder, Transparente: 16.000 Menschen machten in Marburg deutlich, dass sie aufstehen gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie. Foto: Georg Kronenberg/Stadt Marburg

Lautstark, aus tausend Kehlen und voller Inbrunst sangen die Demonstranten im Herzen der Stadt gemeinsam »Bella ciao«, das italienische Partisanenlied aus dem Zweiten Weltkrieg gegen den Faschismus, angeleitet von der stimmgewaltigen Sängerin Letso Rose Steinhoff auf der Bühne. Beim gemeinsamen »We shall overcome« samt frenetischem Beifall für die Sängerin hatten nicht wenige in der Menschenmenge am Ende Tränen in den Augen.

Lehren aus der Geschichte ziehen

»Wir stehen zusammen gegen diejenigen, die aus ihrem Hass ein System staatlicher Bosheit machen wollen«, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. »So hat es damals auch angefangen«, zitierte der OB die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer: mit Wahlergebnissen, die binnen fünf Jahren von knapp drei auf 43 Prozent für die NSDAP im Jahr 1933 springen, mit offener Menschenfeindlichkeit, mit Verächtlichmachung von allen, die dem rassistischen Menschenbild der Rechtsextremen nicht entsprachen, mit dem erklärten Willen, Millionen Menschen aus der Gemeinschaft zu vertreiben, ihre Existenz, ihre Lebensgrundlage, am Ende die Menschen selbst zu vernichten. »So hat es damals auch angefangen, mit dem Ruf, ›die anderen‹ an die Wand zu stellen«, erklärte Spies: »Und viel zu wenige wollten glauben, dass die Menschenfeinde genau das wahr machen würden, was sie offen angekündigt haben.«

Dagegen stellte der Oberbürgermeister die Losung »Nie wieder ist jetzt!« mehrmals und wieder unter viel Applaus. »Nie wieder heißt: Wir stehen zusammen, vor allem gemeinsam an der Seite aller, die am Wannsee gemeint waren. Alle gehören dazu, hier und heute und jeden Tag.« Die Gründung eines neuen »Marburger Bündnisses gegen Rechtsextremismus, für Demokratie und Menschenrechte« kündigte Spies noch vor Ort an, zu dem er in den kommenden Wochen alle einladen werde, die zur Demonstration aufgerufen haben.

Marburg ist für alle Heimat geworden

Für den Ausländerbeirat in der Stadt Marburg trat die Vorsitzende Sylvie Cloutier ans Mikrofon und weitere Mitglieder mit ihr auf die Bühne. »Wir sind hier und wir bleiben hier«, rief Cloutier und machte deutlich, was Vielfalt für alle Seiten bedeute - und wie Marburg ohne Menschen mit Migrationshintergrund aussehen würde: »Ihr braucht uns doch. Wir sind eure Bademeister, eure Busfahrer, eure Erzieher und eure Unternehmer.« Sie fragte, ob sie und die anderen aussehen würden wie ein Problem. »Nein! Wir sind Menschen, die das Leben an diesen Ort verschlagen hat, zu anderen Menschen, die das Glück hatten, hier geboren zu sein und nicht in Kriegsgebieten.« Marburg sei ihre Heimat geworden. »Wir bleiben hier!«, rief Sylvie Cloutier mit Nachdruck.

Dass auch die Marburger Kinder und Jugendlichen für Vielfalt, Toleranz, Offenheit und Respekt sowie vor allem für Bildung und Beteiligung sind, demonstrierten Lasse Wenzel und Marie Kaiser vom Marburger Kinder- und Jugendparlament eindrucksvoll. Sie wollen »Verantwortung für unsere Zukunft übernehmen, denn Demokratie kennt keine Altersgrenze«, so Wenzel und Kaiser. Sie forderten mehr politische Bildung in und außerhalb der Schulen: »Denn wer über die Gefahren Bescheid weiß, wird sich klar gegen einen Rechtsruck in der Gesellschaft stellen. Wir wollen in unserer Demokratie alt werden«, betonten Wenzel und Kaiser.

Michael Heiny von der Geschichtswerkstatt erinnerte daran, dass am 27. Januar 1945 Auschwitz befreit wurde. Auschwitz wurde das Symbol für Verfolgung, Deportation und Ermordung von Menschen. Er ordnete zudem die Rolle des braunen Marburgs und der völkisch-nationalistischen Burschenschaften ein. Diese würden auch heute »rechte Vordenker wie Höcke« zu Veranstaltungen einladen, welche geistige Brandstifter seien mit ihren Plänen zur »Remigration«. »Lernen wir aus unserer Geschichte, setzen wir uns solidarisch ein für Gleichheit und Menschenwürde. Stellen wir uns in der Wahlkabine, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft gegen diese Brandstifter und Biedermänner.«

Auch Uni-Präsident Prof. Dr. Thomas Naus und Stadtverordnetenvorsteherin Dr. Elke Neuwohner sprachen auf der Bühne und riefen zur Solidarität auf sowie zum Schutz von Vielfalt, Freiheit und dem Erhalt der Demokratie.

0
Kommentare | Kommentieren