. »Ich habe immer gerne gelehrt, vielleicht war das der Fehler«, meint der ehemalige Hochschullehrer, nachdem die Vorsitzende Richterin am Arbeitsgericht, Sylvia Blöhß, die Abweisung seiner Klage gegen das Land Hessen verkündet hat. Der Kläger war von September 2011 bis März 2023 als Professor für Wirtschafts- und Ingenieurswesen bei der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) beschäftigt. Weil er bei seiner Einstellung schon über 50 Jahre alt war, wurde er nicht mehr verbeamtet, sondern nur angestellt. Im Vertrag war vereinbart worden, den Kläger gemäß dem Hessischen Hochschulgesetz zu entlohnen.
In seiner Zeit an der THM war er aber nicht nur seinen vertraglich geregelten Lehrverpflichtungen nachgekommen, die neben der Forschung zu den Hauptaufgaben eines Hochschullehrers gehören, sondern hatte rund 130 Semesterwochenstunden über seine Verpflichtung hinaus unterrichtet. Für diesen erheblichen Deputatsüberhang, der Laie würde hier von »Überstunden« sprechen, verlangt er nun eine Zahlung von 403 826,12 Euro nebst fünf Prozent Zinsen.
Das beklagte Land steht dagegen auf dem Standpunkt, dass die Regelungen über Mehrarbeit auf angestellte Professoren keine Anwendung finden und lehnt daher eine Nachzahlung generell ab, selbst wenn ein Professor über seine Lehrverpflichtung hinaus Vorlesungen und weitere Tätigkeiten übernommen habe, was von der THM auch gar nicht bestritten wird.
Niemand außer ihm
Richterin Blöhß machte schnell klar, welche Position sie mehr überzeugte. »Professoren haben keine Arbeitszeit.« Gerade die Freiheit der Forschung und Lehre entbinde Hochschullehrer von festen Vorgaben und rechtfertige eine pauschale Entlohnung. Bei Richtern sei das ähnlich geregelt.
»Da war aber sonst keiner, der die Aufgaben meines Mandanten hätte übernehmen können«, hielt Klägeranwalt Daniel Pfirrmann dagegen. Als Professor für Wirtschafts- und Ingenieurswesen habe er am Standort Friedberg eine singuläre Stellung gehabt. Niemand außer ihm hätte die Pflichtseminare halten können, die die Studenten für ihre Abschlüsse benötigten.
Man rede hier nicht von zusätzlichen Vorlesungen, die sein Mandant aus freien Stücken gehalten habe, sondern von der akademischen Grundversorgung. »Wäre mein Mandant in jener Zeit erkrankt, hätte die THM einen Lehrbeauftragten einstellen müssen, der das Geld bekommen hätte, das mein Mandant jetzt einklagen will«, meinte Pfirrmann.
Anschließend entspann sich noch ein kleiner Disput über die Höhe der eingeforderten Nachzahlung, die der juristische Vertreter des Landes, Rechtsanwalt Ulrich Karl Benedum, nicht nachvollziehen konnte. So habe der Kläger in seine Berechnung nicht die vorlesungsfreien Zeiten einbezogen, in der Hochschullehrer von Lehrpflichten befreit wären. Auch habe er jede Unterrichtsstunde voll angerechnet, obwohl diese an der THM nur 45 Minuten dauern würden.
Die Vorlesung erfordere aber auch Zeit zur Vor- und Nachbereitung, konterte Pfirrmann. Und sein Mandant fügte hinzu: »Ich habe meine Vorlesungen immer in der ersten Vorlesungswoche begonnen und in der letzten beendet. Die meisten Kollegen beginnen eine Woche später und hören früher auf.« Wenn er seine Vorlesungen nicht gehalten hätte und die THM dann nicht für Ersatz gesorgt hätte, hätten seine Studenten länger studieren müssen und dementsprechend später der Wirtschaft zur Verfügung gestanden. »Es ist moralisch verwerflich, was die Hochschule da macht. Das ist meine Meinung.«
»Wir werden uns da heute nicht einig werden«, meinte Richterin Blöhß, die wenig Spielraum für eine gütliche Einigung sah. Auch der Vertreter des Landes lehnte einen Kompromiss aufgrund der grundsätzlichen Natur des Konfliktes ab. »Die Arbeitspflicht ist keine Arbeitszeit und wird deshalb nicht gemessen. Es wird keine gütliche Einigung geben. Wir möchten eine Entscheidung«, betonte Benedum, bevor sich Blöhß mit den beiden Laienrichtern zur Beratung zurückzog. Die dauerte nicht lange.
»Die Klage wird abgewiesen«, verkündete Blöhß knapp. »Die Kosten trägt der Kläger.« Er habe aufgrund der geltenden Rechtslage keinen Anspruch auf Nachzahlung, obwohl er seine Verpflichtungen unbestritten übererfüllt habe.
Recht und Moral
Ob der Kläger in Berufung gehen wird, was angesichts des hohen Streitwerts möglich ist, ließ er nach dem für ihn enttäuschenden Urteil offen. »Wenn Überstunden zur Pflicht werden, aber nicht mehr bezahlt werden müssen, wäre es wohl vernünftiger gewesen, meine Vorlesungen schon zwei Jahre vor dem Ruhestand einzustellen«, kommentierte er. Recht und Moral sehe er nach wie vor auf seiner Seite. »Er ist hier gnadenlos ausgebeutet worden«, fügte seine sichtlich verbitterte Ehefrau hinzu.