. Neben dem »Elefantenklo«, den »Drei Schwätzern« und dem »Schlammbeiser« hat Gießen noch ein weiteres Wahrzeichen: das Dönerdreieck. Das inoffizielle Stadtviertel ist seit knapp 20 Jahren mit diesem Namen versehen und erstreckt sich von
Tja, von wo bis wo eigentlich? So viel vorweg: Diese Frage wurde beim ersten »kulinarischen Rundgang« nicht beantwortet.
Aber das muss sie auch gar nicht. Denn das Dönerdreieck ist sowohl für die Anwohner als auch für die ansässigen Gastronomen viel mehr als nur ein Viertel. Das wird deutlich im Magazin »Leben im Dreieck«, das im Mai von der Stadt Gießen herausgegeben wurde. Darin wurden Stimmen aus dem Viertel abgedruckt, die einen Einblick in das (Zusammen-)Leben dort ermöglichen. Zudem wurde erstmalig eben ein Stadtrundgang mit kulinarischen Kostproben angeboten. Ein Projekt im Rahmen des Förderprogramms »Zukunft Innenstadt«, bei dem die Wirtschaftsförderung und die Stabsstelle »Soziale Stadterneuerung - Gemeinwesenarbeit Innenstadt« kooperieren.
15 Personen wurden als Limit gesetzt, damit alle Teilnehmenden zu jeder Zeit alles mitkriegen können. »Ich habe noch nie eine Stadtführung gemacht, obwohl ich schon so lange hier wohne«, sagt ein Mann aus der bunt gemischten Gruppe. Doch mit einer Stadtführung hat der kulinarische Rundgang recht wenig zu tun - zum Glück. Vielmehr ist es ein reger Austausch, ein Schwelgen in Erinnerungen, geleitet von Saloua Maskoué, die seit 2016 mitten im Dönerdreieck wohnt und jeden - ja wirklich jeden - dort kennt. Da viele Teilnehmende schon viel länger in Gießen wohnen und das Dönerdreieck noch von »früher« kennen, werden viele Erklärungen - anders als bei einer klassischen Stadtführung - nicht von der Referentin übernommen, sondern von den (Ur-)Gießenern selbst. Dadurch lernen alle von allen. Und auch so viel sei bereits verraten: Das Konzept kommt sehr gut an.
Zunächst wird bei der Stadtbäckerei Simit Diyari eingekehrt, die, genau wie die folgenden sieben Stationen, Snacks in Hülle und Fülle anbietet. »Früher war hier ein Aldi drin«, sagt eine Teilnehmerin und führt damit unbewusst den beliebtesten Satzeinstieg des Rundgangs ein. Denn mit »früher war hier...« wird an diesem Nachmittag so manches Gebäude kommentiert. Noch interessanter als der Supermarkt: Von 1955 bis 1975 hatte in diesem Komplex das Luxor-Kino seine Pforten geöffnet, dessen Schriftzug bis vor wenigen Jahren noch immer den hohen Teil des Gebäudes zierte. Seit 2016 versorgt nun die Stadtbäckerei, die auch eine Konditorei ist, die Kunden mit frischem Gebäck - Straßenverkauf inklusive.
Von dort geht es über die Brandgasse zum Brandplatz. »Ist das noch Teil des Dönerdreiecks?«, fragt Maskoué in die Runde. Die Teilnehmenden finden eher nicht. Also geht es über die Marktlaubenstraße zurück zur Walltorstraße, die zusammen mit dem Asterweg den Kern des Viertels ausmacht. Bei Kim Phat, immerhin auch schon 16 Jahre an dieser Stelle, wird die Gruppe mit Sushi-Häppchen versorgt. Bei Döner Bra ein paar Häuser weiter gibt es dann Lahmacun mit Hühnchen-, Kalbfleisch oder Seitan. Dazu Pizza. Und vieles mehr. Es wird richtig aufgetischt. »Früher war hier der City Grill«, ist sich die Gruppe einig. Bis vor vier Jahren. Im Anschluss ist die Hälfte der Teilnehmenden satt.
Doch weiter gehts, immerhin war das erst die dritte von acht Anlaufstellen. Gegenüber von Döner Bra ist das Cigköftecim. Vor sechs Jahren hat der Laden aufgemacht, damals noch im Asterweg. Vor drei Jahren ist er nur wenige Meter weiter in die Walltorstraße gezogen. Und was sind Cigköfte? Darüber klärt eine Tafel vor dem Eingang auf. Eine über 4000 Jahre alte Mahlzeit aus der anatolischen Region, die im Gießener Fall ohne Fleisch zubereitet wird. Dunkle Weizengrütze (Bulgur), Tomatenmark, Walnüsse sowie Gewürze und frische Kräuter, gerne serviert im dünnen Teigmantel. »100% vegan«, steht neben dem Namensschriftzug. Eine Besonderheit im Dönerdreieck.
Direkt daneben ist der Delight Back- und Feinkost zu finden. Seit 2006 gibt es den Laden, womit er einer der ältesten im Viertel ist. »Hier backen noch die Eltern«, erzählt der Inhaber, der halb Grieche und halb Türke ist. Deshalb gebe es hier das beste aus beiden Küchen. »Antipasti und Baklava.« Hier erfährt die Gruppe auch, dass das Viertel im Jahr 2006 bereits als Dönerdreieck bezeichnet wurde. Eben weil mit dem Turhan Kebap Haus, dem Mega Tandur und dem Dönerking, die es alle drei noch immer gibt, drei Dönerbuden in unmittelbarer Nähe geöffnet hatten. Was sich in den letzten 20 Jahren getan hat, ist heute deutlich zu sehen. Denn mit acht kulinarischen Stationen sind noch längst nicht alle Läden im Dönerdreieck abgeklappert.
Im Anschluss an die vielen Köstlichkeiten und interessanten Informationen geht es für die gesättigte Gruppe auf das Dach des DGB-Hauses. Doch nicht nur der Deutsche Gewerkschaftsbund residiert hier, sondern auch das Freiwilligenzentrum Gießen. Von dort oben hat man den perfekten Blick darauf, wo der Asterweg auf die Walltorstraße trifft. Die Treppenstufen bis in den siebten Stock zu laufen, hilft außerdem beim Verdauen. Denn es sind immer noch drei Stationen zu besuchen.
Ein bisschen Abseits des Hauptgeschehens, in der Dammstraße, hat vor vier Jahren der Reynabi Döner eröffnet. Ein Jahr zuvor gab es bereits die Filiale in der Grünberger Straße. Hier werde alles selbst gemacht, vom Fleischspieß über die Soßen bis hin zum Brot aus dem Holzofen. Auch handgemachtes Seitan steht auf der Speisekarte. Nach verschiedenen Häppchen geht es dann zur letzten Essensstation, zum gerade im Nachtleben beliebten Mega Tandur. Bereits 2001 hat die Dönerbude mit dem markanten Baum mitten im Raum eröffnet, auch nachts um 4 Uhr werden hier noch frische Döner, Pide, Pizzen, Linsensuppen und vieles mehr aufgetischt. Trotz der bisherigen Menge an Köstlichkeiten wird die Gruppe auch hier noch ein letztes Mal mehr als reichlich bedient.
Die letzte Station ist die Enjoy-Bar, die auch bereits seit 2002 im Asterweg geöffnet hat. Sie ist ebenfalls fester Bestandteil des Dönerdreiecks und von dort nicht mehr wegzudenken. Nach einem Getränk löst sich die Gruppe nach und nach auf, es gibt niemanden, dem oder der die Tour keinen Spaß gemacht hat. Logisch, wenn man für nur 20 Euro in acht Imbissen oder Restaurants mit Snacks und Getränken versorgt wird und man dabei in regem Austausch über alles ist, was sich in den vergangenen 20 Jahren in diesem besonderen Gießener Viertel abgespielt hat.
Johann Erdmann, zusammen mit Lukas Morawietz Initiator des Rundgangs, verrät direkt im Anschluss, dass dieser Rundgang mindestens noch ein zweites Mal stattfinden wird: »Das Interesse war hoch, wir haben eine Warteliste.« Nächstes Mal werde wohl noch mehr Fokus auf den Austausch mit den Inhabern gelegt und es werde ein paar Stationen weniger geben. Und auch andere Stationen, denn für den ersten Rundgang wurden nicht alle Gastronomien angefragt, einfach weil es so viele sind. Denn auch von den Gastronomen aus bestand großes Interesse an einer derartigen Führung. »Es ist ein überregional bekannter Stadtteil und dafür wissen die Gießener selbst recht wenig darüber, was hier so im Alltag los ist«, sagt Erdmann. »Die Betreiber der Läden wünschen sich, dass die Leute einfach mal herkommen und alles kennenlernen.«
Denn die Außendarstellung des Dönerdreiecks unterscheide sich oft von der Innensicht, wie Erdmann und Morawietz im Zuge dieses Projektes herausgefunden haben. »Wenn so etwas wie vor vier Jahren in Hanau in Gießen passiert wäre, hätte es wahrscheinlich dieses Viertel hier getroffen. Weil sich eben so viel migrantisches Leben hier bündelt. Deswegen ist es umso wichtiger, die Migrationsgesellschaft, die die Kulinarik hier darstellt, in einer wertschätzenden Perspektive zu beleuchten«, so der 27-Jährige.
So lässt sich bilanzieren, dass das Dönerdreieck als inoffizielles Stadtviertel eines ohne Grenzen ist. Weder geografisch noch kulinarisch und schon gar nicht kulturell. Die Vielfalt, die Gastfreundschaft, die Speisen - eine Bereicherung für Gießen. Und egal, ob man nostalgisch durch die Straßen schlendert und sagt »früher war hier...«, oder ob man nur schnell, gut und günstig etwas essen möchte: Das Dönerdreieck ist der perfekte Ort dafür. Egal um welche Uhrzeit, wie die Anwohner bestätigen. Und all das ist auch im Magazin »Leben im Dreieck« nachzulesen, in dem den Menschen aus dem Viertel eine Stimme gegeben wird.
Das Magazin »Leben im Dreieck«, in dem Stimmen von Bewohnenden und Arbeitenden des Dönerdreiecks gesammelt wurden, kann jeden Donnerstag zwischen 16 und 19 Uhr im Stadtteilzentrum (Walltorstraße 3) kostenfrei erworben werden.