07. Mai 2025, 19:58 Uhr

Kriegsende in Heuchelheim

Den Amis ergeben

Der Heimat- und Geschichtsverein Heuchelheim erinnert an 80 Jahre Kriegsende und eine ausgehungerte Bevölkerung.
07. Mai 2025, 19:58 Uhr
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Zwei amerikanische Soldaten posieren am Ortsschild als Sieger nach der Einnahme Heuchelheims 1945. Screenshot: HR-Dokumentation

Mit dem Einmarsch der Amerikaner im Landkreis Gießen war am 28. März 1945 der Krieg noch nicht endgültig zu Ende. Erst mit der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde am 8. Mai 1945, 80 Jahre ist das her, war ein Konflikt, der 60 Millionen Menschen das Leben gekostet hatte, vorbei. Der Heimat- und Geschichtsverein, hier im Speziellen der Arbeitskreis Ortsgeschichte um Werner Rinn, hat aus diesem Anlass die Geschichte des Zweiten Weltkrieges aus Heuchel-heimer Sicht aufbereitet.

Im Januar 1945 betrug die Anzahl der aus Heuchelheim in den Krieg einberufenen Männer 650. Davon kehrten 270 nicht mehr zurück. Kinzenbach hatte 66 Kriegsopfer zu beklagen.

Bereits fünf Tage vor dem 1. September 1939, dem Tag des Kriegsbeginns, startete die sogenannte »Zwangsbewirtschaftung«, die die Rationierung von Lebensmitteln, Schuhen und Bekleidung sowie fast aller anderen Gebrauchsgüter für den täglichen Bedarf betraf. Sie dauerte bis Ende 1949 und somit noch über die Währungsreform mit der Ausgabe der D-Mark am 21. Juni 1948 hinaus.

Die Nahrungsmittelrationen, die bis zur Kapitulation noch 2000 Kalorien pro Kopf und Tag betrugen, schrumpften danach zunächst auf etwa 1200 und später auf nur noch etwa 1000, soweit sie überhaupt zur Verfügung standen. 55 Prozent aller deutschen Kinder waren 1946 unterernährt.

Städter darben besonders

War es in den Dörfern noch einigermaßen erträglich, so gab es für die Stadtleute kaum eine Möglichkeit die Rationen aufzubessern. Der Schwarzhandel blühte prächtig. Möbel, Teppiche. Schmuck und anderes wurden illegal gegen Brot, Mehl, Fleisch, Wurst und Schinken getauscht. Verbreitet war der Handel mit Tabak, Zigaretten, Schokolade und Kaffee, besonders von Leuten, die Beziehungen zur Besatzungsarmee pflegten. Besonders in den Städten wog der Durchschnittsmann Ende 1945 nur etwa 51 Kilogramm. Die Währungsreform stoppte den Schwarzhandel bis er nach einigen Jahren völlig verschwand.

Schlimm war der Wohnungsnotstand. Die Amerikaner hatten über 30 Häuser in Heuchelheim beschlagnahmt. Auch die in 1946 Heuchelheim zugewiesenen mehr als 900 Heimatvertriebenen mussten untergebracht werden. Kinzenbach hatte davon rund 300 aufzunehmen. Ärger ernteten diejenigen, die die Wohnräume beschlagnahmen mussten, gleich von zwei Seiten: Von den Hausbesitzern, die zwangsweise Wohnraum zur Verfügung stellen mussten, und den Einziehenden, denen die Zuweisung zu gering erschien. Es dauerte noch etwa 15 Jahre, bis der Wohnungsnotstand einigermaßen zufriedenstellend gelöst werden konnte.

Die spätere Heuchelheimer Büchereileiterin Elli Rinn, damals bei der Gemeindeverwaltung tätig, berichtete, dass die ausgegebenen Lebensmittelkarten nur jeweils vier Wochen galten und es insgesamt 137 Zuteilungsperioden gab. Letzte Bettwäsche wurde gegen Essbares getauscht. Es wurde geschmuggelt, organisiert, unterschlagen, Schwarzhandel getrieben. Die Schieber seien die echten Kriegsgewinnler gewesen, wusste sie. Zum Schlachten brauchte man einen Berechtigungsschein und das Gewicht wurde auf die Lebensmittelzuteilung angerechnet. Salz und Pfeffer waren knapp.

Aus Lappen Kleider genäht

Aus den Lappenkisten nähten Mütter Kleidungsstücke. Heimatfreund Emil Winter, der als 15-Jähriger noch kurzfristig eingezogen wurde, erinnert sich, dass seiner Mutter 40 Gläser Eingemachtes aus dem Keller gestohlen wurden.

In fünf Lagern waren russische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter bei verschiedenen Heuchelheimer Firmen untergebracht. Bei ihrer Entlassung luden sie Lebensmittel auf ihre Wagen, doch Ludwig Schneider, kommissarischer Bürgermeister, wusste sich zu helfen. Er lud das geplünderte Gut auf der anderen Seite wieder ab. Auch die jungen Menschen in der Hitlerjugend (HJ) mussten zuletzt noch an die Fronten. Die 15-jährigen Willi Reuschling und Helmut Emrich wurden 1944 in Merzig (Saar) zum vorgezogenen Wehrdienst einberufen. Willi Reuschling wurde anschließend von der SS nach Pilsen ins heutige Tschechien verschleppt.

Bewacher verschwanden

Doch als es hieß, die Russen seien dort, waren die Bewacher verschwunden, und er geriet - sich selbst überlassen - an der Grenze in amerikanische Gefangenschaft. Nach der späteren Entlassung musste er von der Oberpfalz nach Hause laufen. Helmut Emrich kehrte vom Einsatz in Merzig am 11. Dezember 1945 ins brennende Heuchelheim zurück. Später wieder einberufen führte sein Weg bis nach Norddeutschland, von wo er erst im September 1945 zurückkehrte. Aufgrund der Hungersnot schleppte er gar ein Ferkel im kaputten Sack zu Fuß von Alten-Buseck heim. Sein Schlusswort: »Krieg ist das Schlimmste, was man Menschen antun kann!«

Adele Medebach und Jürgen Luckhardt waren gerade sechs Jahre alt, als sie mit ihren Eltern ihre mit Ausgebombten und Vertriebenen voll belegten Häuser in der verlängerten Wilhelmstraße über Nacht verlassen mussten, um den Besatzern Platz zu machen. Sie mussten sich mit Behelfswohnungen, meist mit einem Zimmer für die ganze Familie, auf Jahre zufrieden geben. Jürgen Luckhadt schilderte, dass er die Kirschen, die er auf seinem elterlichen Grundstück gepflückt hatte, nicht behalten durfte, weil die Besatzer dies verboten.



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