. Lieselotte Globuschütz hat einen großen Umzug schon hinter sich. In einem Vorort Hannovers beheimatet, zog sie vor ein paar Jahren zu ihrem Sohn, der in Linden als Stadtverordnetenvorsteher kein Unbekannter ist. »Doch in meiner Zweizimmerwohnung in der Hauptstraße stürzte ich fürchterlich.« Die 84-Jährige kam ins Grübeln. Sie und ein weiterer 93-jähriger Mitbewohner haben im ersten Halbjahr ihr Zuhause aufgegeben, um etwas Neues anzufangen.
Horst Raue hatte es in Spanien bei seiner Tochter im Urlaub erwischt, Schlaganfall. Beide leben jetzt in je einem 37 Quadratmeter Appartement im Seniorenzentrum in Linden. Betreutes Wohnen nennt sich das, doch es gibt viele Facetten dieses Begriffs, weiß Geschäftsführerin Christa Hofmann-Bremer, die auch Einrichtungsleiterin des Seniorenzentrums ist.
In Linden sorgt Wohngruppenleiter Maurice Westbrock dafür, dass sich die bisher zwölf Bewohner, die Hälfte davon Lindener Bürger, auf der Phillipus-Etage wohlfühlen. Das zweite »Thomas«-Stockwerk ist noch ein wenig verwaist, zu frisch ist noch das Angebot. Seit Januar gibt es in den beiden Etagen, benannt nach Aposteln, die neue Wohnform. Weitere zwölf Appartements sind noch frei, doch füllt sich dieser Teil des großen Zentrums schnell, in dem alle Arten der Pflege angeboten werden. Hier gibt es die Diakoniestation unter einem Dach wie auch Tages- und natürlich Vollzeitpflege. Im Betreutes-Wohnen-Bereich, der im Januar eröffnete, ist man mit 1200 Euro monatlich dabei, inklusive Reinigung und Wäschedienst, allerdings ohne Verpflegung, die individuell dazubestellt werden kann.
Müsli in der Pantry-Küche
Lieselotte Globuschütz mag allerdings morgens lieber ihr ganz spezielles eigenes Müsli, das sie in der Pantry-Küche in ihrem Zimmer zubereitet. Die Individualität jedes Einzelnen ist wichtig, und damit die Möglichkeit, auch einmal die Tür hinter sich zufallen zu lassen. Allerdings sorgt Maurice Westbrock als Gruppenleiter immer wieder für Gemeinschaft. »Ich mache jetzt morgens im großen Gemeinschaftsraum die Gymnastik mit, obwohl ich vorher stinkefaul war«, schmunzelt die 84-Jährige.
»Hier bringt mich nichts mehr weg«
»Als mich mein Sohn hierherbrachte, habe ich gleich gesagt: »Axel, hier bringt mich nichts mehr weg.« Die ehemalige Ladenmitinhaberin hatte zuvor auf einem Zettel eine Tabelle mit Pro und Kontra angelegt, »aber es gab kein Minus.« Einziges Manko: Die Dame aus Niedersachsen sucht noch händeringend einen Partner zum Kartenspielen. Daneben malt sie gerne.
Horst Raue, der am Freitag mit Gästen in einem kleinen Gemeinschaftsraum sitzt, lacht: »Nun warte doch mal ab, vielleicht mach ich ja noch mit.« Beide sind gut gelaunt, loben das schicke, gemütliche Ambiente in angenehmen Farbtönen und besonders die Freundlichkeit des 30-jährigen Gruppenleiters. Als »gute Seele« steht er acht Stunden tagsüber zur Verfügung, arrangiert Einkäufe oder Fahrten zum Arzt. Beide Senioren sind bereits auf einen Rollator angewiesen. Die Geschäftsführerin des Betreuten Wohnens, Hofmann-Bremer, und Westbrock laden Interessierte gerne zu einer Besichtigung ein. Es wird im Gespräch geklärt, ob die Person geeignet ist. In einzelnen Fällen ist der Pflegebedarf größer als gedacht und es sind andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.
Globuschütz und Raue sind grundzufrieden, obwohl sie erst kurz dort wohnen, und haben sich bereit erklärt, der Presse sogar ihr kleines eigenes Refugium zu öffnen. Zuvor wird gemeinsam über das betreute Wohnen und das eigene Schicksal gesprochen. Raue arbeitete 42 Jahre im schon lange geschlossenen Depot der Amerikaner in Gießen, zuletzt als Sicherheitsbeauftragter. Er hatte in Linden ein eigenes Haus mit Garten, das er nach dem Tod seiner Frau verkaufte. Er wohnte dann zur Miete in einer kleinen Wohnung gleich neben dem Seniorenzentrum, bevor er noch einmal sein Hab und Gut packte und in das jetzige Zimmer zog. Beiden Senioren ging es darum, die Familie zu entlasten, aber auch um soziale Kontakte. Die 84-jährige Lieselotte Globuschütz hatte bereits Erfahrungen mit der örtlichen Diakoniestation gemacht, die ihr beim Einstieg in ihre Dusche half. Doch diese Hilfe braucht sie derzeit nicht mehr, da alles barrierefrei im neuen Bad ist.
Hofmann-Bremer hat sich für die Einzelzimmer starkgemacht, die am Ende einer Erweiterung und Sanierung des Seniorenzentrums in Linden entstanden.
»Wenn es um die Gestaltung eines langen Lebens geht, reicht ein Konzept im Alter nicht aus«, sagt sie. Raue ist aufgefallen, dass seine Generation, die den Krieg erlebt hat, ein langes Leben beschieden ist. »Da ist was dran«, weiß Hofmann-Bremer aus Erfahrung: »In der Generation gibt es oft keine Wohlstandserkrankungen. Es wurde schwer und entbehrungsreich gearbeitet, und das ist nicht immer schädlich für die Gesundheit.« Raue verrät allerdings, dass er als Hochbetagter noch jeden Tag 20 Minuten Gymnastik im Zimmer mache und sich am Abend immer wieder die Geburtstagsdaten seiner Anverwandten ins Gedächtnis rufe. Nur das Gehör will nicht mehr so. »Das ist halt das Alter«, sagt er.
Seine 84-jährige Gruppenmitbewohnerin wundert sich über so manchen Besuch: »Die haben mich komisch angeschaut und gefragt, ob es mir denn gut geht. Ich fühle mich hier wohl. Es geht mir wunderbar.«
Sie hat einen guten Vergleich, denn sie half 30 Jahre lang ehrenamtlich lange Zeit in einem kirchlichen Altenheim in ihrem Wohnort Sarstedt.
Hausgemeinschaft besonders wichtig
Bremer-Hofmann erklärt zum Schluss die Unterschiede zum betreuten Wohnen im Johannesstift in Gießen, dem Haupthaus. In Linden gehe es um die Hausgemeinschaft. Jeder Bewohner habe einen eigenen Schreibtisch im Zimmer. Es werde gemeinsam gekocht und gebacken. Neben Westbrock kümmern sich Betreuungsassistenten um die Bewohner. »Wir schließen damit eine Lücke in unserer Einrichtung, die jetzt einen Übergang ermöglicht. Es hilft, die Hemmschwelle vor der stationären Vollzeitpflege zu mindern.« In Gießen im Johannesstift sei der Wohnraum größer, aber auch teurer. Es gebe dort nur Betreuung am Nachmittag. In Linden stehe »betreutes Wohnen für den kleinen Geldbeutel« im Vordergrund.
Und Horst Raue stellt zuletzt lachend fest: »Wenn ich so eine Bleibe habe, dann kann ich auch 100 werden.«
Hofmann-Bremer kündigt bereits an, dass ab Herbst ein Mittagstisch-Angebot im Seniorenzentrum angedacht ist, um den Menschen außerhalb zu zeigen, dass das Bild einer modernen Pflegeeinrichtung längst nicht mehr dem althergebrachten entspricht.
Das Seniorenzentrum Linden gehört zur gemeinnützigen Gesellschaft für diakonische Altenhilfe Gießen und Linden. Das Haupthaus ist das Johannesstift in Gießen. In Linden werden 105 Vollzeitpflegeplätze vorgehalten. Es werden sechzig Mitarbeiter beschäftigt. An Angeboten gibt es zudem die Kurzzeit- sowie Verhinderungspflege wie auch palliative Geriatrie-Dienste, aber auch geschützte Bereiche für an Demenz erkrankte Personen. Die Diakoniestation ist mit ihren mobilen Diensten unter dem Dach des Seniorenzentrums beheimatet. Das betreute Wohnen ist ein eigener Geschäftszweig. Das Seniorenzentrum ist erreichbar unter 06403/9554-0. (ww)