Es geht um Kostenübernahmen für eine permanente Betreuung der Kinder durch eine Pflegeperson während des Aufenthalts in Kita und Schule.
Diesbezüglich zieht die Gießener Rechtsanwältin regelmäßig gegen Krankenkassen vor Gericht, die Eltern von Diabetes-Kindern eine Vollzeit-Betreuung nicht gewähren wollen. Meist geht es in den Rechtsstreitigkeiten um den Umfang der Pflegemaßnahmen. Die Kassen sind zwar zu punktuellen Einzelleistungen bereit, mauern aber bei der Finanzierung einer Pflegekraft, die das betroffene Diabetes-Kind während der gesamten Zeit in Kita und Schule beobachtet und die erforderlichen Maßnahmen ergreift.
Auf Blutzuckerwerte zeitnah reagieren
Das fängt schon damit an, dass ein Kleinkind noch nicht eigenständig eine Insulinpumpe bedienen kann. Darüber hinaus muss der Insulinwert auch manuell regelmäßig gemessen werden, um die notwendige Insulinmenge zu verabreichen. Ein anderer Punkt ist die variierende körperliche Aktivität des Kindes, die Auswirkung auf die Blutzuckerwerte hat. Es muss genau darauf geachtet werden, wie viel das Kind isst oder wie es sich beispielsweise bewegt. Wenn eine Pflegekraft aber nur zu bestimmten Zeiten die Einrichtungen aufsucht, um nach den Diabetes-Kindern zu schauen, ist nicht gewährleistet, dass auf eventuelle Blutzuckerschwankungen punktgenau reagiert werden kann. Schlimmstenfalls kann es zu lebensbedrohlichen komatösen Zuständen kommen.
Verständlicherweise können und wollen Erziehungskräfte diese Verantwortung nicht zusätzlich zu ihrem eigentlichen Job übernehmen. Als Alternative bleibt da häufig nur, dass ein Diabetes-Kind während der Kita-Zeit von einem Elternteil oder einer anderen Person zu Hause betreut wird, was aber aus beruflichen, finanziellen und sozialen Gründen von vielen Erziehungsberechtigten nicht als Option angesehen wird.
Lisa Völpel-Klaes kennt sich wie kaum eine andere in der Materie aus. Ihre beiden Söhne sind selbst im Kindesalter an Diabetes Typ 1 erkrankt: ihr erstes Kind im Alter von zweieinhalb Jahren und ihr zweites mit 22 Monaten. Sie vermag sich deshalb nur zu gut in die Situation von Eltern hineinzuversetzen, deren Alltag von der Sorge um das Wohlergehen ihres Kindes bestimmt ist.
Nach jahrelangem juristischem Kampf hat die Rechtsanwältin im Oktober 2022 in einer ersten deutschlandweit bekannten Hauptsache-Entscheidung in Form eines Urteils gewonnen. Das Sozialgericht Gelsenkirchen befand, dass die Krankenkassen für die Kosten einer Pflegekraft für ein Kind mit Diabetes in der Kita aufkommen muss. Seither ist die Juristin auch für Dutzende anderer Fälle aus dem gesamten Bundesgebiet aktiv, in denen Krankenkassen aber weitergehende Leistungen wie beispielsweise eine Vollzeitbetreuung verweigern.
Kassen nutzen Verordnung als Schlupfloch
»Wir sind nach wie vor im Streit mit ganz vielen Kassen«, erläutert Völpel-Klaes die derzeitige Situation. »In der Regel wollen die Kassen durch Ablehnungsbescheide Betroffene ins Klageverfahren zwingen, um Zeit zu schinden und damit auch Kosten für Pflegemaßnahmen.« Aktuell geht es auch insbesondere um die inhaltliche Auslegung einer neuen Verordnung vom Oktober 2023 (»Muster 62«) für Außerklinische Intensivpflegemaßnahmen (AKI). Streitpunkt ist erneut, ob eine vollständig anwesende oder nur eine punktuelle Betreuung von Diabetes-Kindern durch eine Pflegekraft notwendig ist. (hä)