13. November 2023, 14:30 Uhr

Gießen

Perspektiven für mehr Verkehrssicherheit

Nicht erst seit dem Verkehrsversuch in Gießen steht das Thema Verkehrssicherheit im Blickfeld der Öffentlichkeit. Experten loteten Handlungsspielräume von Städten und Gemeinden aus
13. November 2023, 14:30 Uhr
Runter vom Gas: Viele Kommunen im Landkreis haben bereits flächendeckend Tempo-30-Zonen eingerichtet, um die Verkehrssicherheit innerorts zu erhöhen. Foto: Häuser

Wie das aktuelle Beispiel zeigt, sind Veränderungen an rechtliche Rahmenbedingungen geknüpft und müssen sich der Gesetzeslage anpassen. Über Handlungsspielräume von Kommunen informierten zwei Experten bei einer öffentlichen Veranstaltung des Landkreises Gießen in der Volkshalle Pohlheim.

Mehr Eigenständigkeit der Kommunen

Der Landkreis gehört der Initiative »Lebenswerte Städte und Gemeinden« an, die beispielsweise mehr Eigenständigkeit der Kommunen in der Anordnung von Tempo-30-Zonen fordert. Als Referenten eingeladen waren Dr. Hendrik Schüler, stellvertretender Leiter der Abteilung Straßen- und Verkehrswesen im hessischen Verkehrsministerium und Prof. Jürgen Follmann von der Hochschule Darmstadt mit den Schwerpunkten Verkehrsplanung, -technik und -sicherheit.

»Ich erwarte Denkanstöße, wie wir den Landkreis verkehrssicherer gestalten können«, hatte Christian Zuckermann als Kreis-Verkehrsdezernent den Informationsabend eingeleitet. Schüler erläuterte sodann, wie sich in den vergangenen drei Jahrzehnten Konzepte für die Verkehrssicherheit weiterentwickelt haben. Anhand von Statistiken wurden Ziele abgeleitet, die schrittweise zu einer deutlichen Reduzierung der Verkehrstoten und Schwerverletzten führen sollen. An deren Ende steht das Langfristziel der »Vision Zero« bis zum Jahr 2050: null Tote im Straßenverkehr. Schüler bekannte allerdings auch, dass man bei den Zwischenzielen noch nicht da sei, »wo wir sein müssten, um sie zu erreichen«.

Daher seien Leitlinien mit Maßnahmen entwickelt worden, um vorrangig und schnell dort umgesetzt werden zu können, wo die größte Verringerung der Todes- und Schwerverletztenzahl zu erreichen sei. Dazu zählten Verkehrsversuche. »Allein das Ausprobieren sorgt dafür, Erfahrungen zu sammeln«, brach Schüler auch eine Lanze für das gescheiterte Experiment in Gießen. Zudem seien die verstärkte Verkehrsüberwachung und Präventionsmaßnahmen an Schulen Mittel für mehr Sicherheit im Straßenverkehr.

»Die Zahlen zeigen: Wir müssen die Gesellschaft aufrütteln«, war sich Referent Follmann sicher. Jeder dritte Verkehrstote innerorts sei im Jahr 2022 ein Radfahrer gewesen. »Es ist eine Katastrophe, wie mit Gesetzen und Regelwerken umgegangen wird, und es dauert ewig, bis etwas umgesetzt ist«, kritisierte er. Vor allem beim Thema Geschwindigkeiten koche seine Seele, votierte Follmann für Tempo 30 innerorts und Tempo 80 auf Landstraßen: »Das würde uns alle schützen!«

»Aus innovativer Sicht ist total verrückt, was in Gießen passiert ist«, forderte Follmann eine Anpassung der Regelwerke, um zukunftsfähig zu werden. Sehr gespannt sei er, wie die Novelle der Straßenverkehrsordnung zum Straßenverkehrsgesetz passe. Um die Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen, sei ein gesellschaftlicher Kompromiss zwischen Auto- und Radfahrern, aber auch zwischen Radlern und Fußgängern nötig.

Verkehrsverhalten ändern

Viel Verkehr sei hausgemacht. Deshalb schlug Follmann als praktische Maßnahme vor, dass wenigstens zehn Prozent der Bevölkerung ihr Verkehrsverhalten änderten. »Die Ansätze liegen im nahen und persönlichen Lebensumfeld. Wenn kurze Wege nicht mit dem Pkw, sondern mit dem Rad zurückgelegt werden, erreicht man Verkehrssicherheit und weniger Parkplatzprobleme.« Die Wegelängen im Pkw-Verkehr lägen zu 25 Prozent unter zwei Kilometern, zu 50 Prozent unter fünf Kilometern und zu 70 Prozent unter zehn Kilometern. Sicherheit benötige allerdings auch Sichtbarkeit. Deshalb warb Follmann für die Ausweisung von mehr Fahrradstraßen und auffällige farbliche Markierungen von Fahrradwegen sowie bessere Beleuchtung außerorts von Querungsstellen. Sein Fazit: »Wir müssen probieren, testen, Erfahrungen sammeln.« (hä)

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