20. April 2022, 13:00 Uhr

Gießen

Natur als Vorbild für technische Lösungen

Wer Klimaschutz und Mobilität vereinen möchte, kommt um Leichtbau nicht herum: Masse, die gar nicht erst produziert und verbaut wird, spart Energie ein. An der Technischen Hochschule Mittelhessen wird dazu geforscht.
20. April 2022, 13:00 Uhr
Otto Hemmelmann (links) und Prof. Udo Jung nehmen im Projekt »Boost« die Natur zum Vorbild, um Sitzträger und Sitzpolster ergonomisch angenehm und vor allem auch leichter und damit umweltfreundlicher zu konstruieren. Foto: THM

Im öffentlichen Personenverkehr wie Bussen und Bahnen steckt besonders viel Potenzial durch Gewichtsreduktion. »Sparen wir nur wenige hundert Gramm beim Sitzkissen ein, so ist das hochgerechnet eine enorme Gewichtsreduktion«, rechnet Prof. Udo Jung vom Fachbereich Maschinenbau, Mechatronik und Materialtechnologie an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) vor. Jung ist im Kompetenzzentrum »AutoM« verantwortlich für Leichtbau und Betriebsfestigkeit. Sitzkissen und ihren Trägern widmet sich Jungs Forschungsgruppe im Projekt »Biologisch inspiriertes Sitzsystem« (Boost).

Zusammen mit Senckenberg-Gesellschaft

Die Zusammenarbeit mit Naturforschern der Senckenberg-Gesellschaft ergibt sich aus dem Ansatz, die Natur als Vorbild zu nehmen. »Tiere und Pflanzen sind seit jeher wichtige Ideengeber für technische Innovationen aller Art«, betont Dr. Julia Intemann, Projektmanagerin für den Wissenstransfer bei der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung. »Durch unsere umfangreichen Sammlungen fossiler und rezenter Tier- und Pflanzenarten verfügen wir in besonderer Weise über die Kompetenz zur Identifizierung biologischer Vorbilder für technische Lösungen.«

Udo Jung erklärt, Bionik sei das »Stöbern nach biologischen Vorbildern in der Natur, um daraus überzeugende, neue, technische Lösungen zu generieren - für den Maschinen- und Fahrzeugbau ebenso wie für den Leichtbau«. Als Beispiel für natürliche Effizienz werden häufig Bienenwaben genannt, die verfügbaren Raum optimal ausnutzen. Die Boost-Projektgruppe setzt auf Pilze, Moostierchen und Spinnennetze als Ideengeber.

Bei der inneren Struktur des Sitzkissens orientieren sich die Forschenden an den Kammerstrukturen von Moostierchen-Kolonien sowie dem Federkörper eines Bovists, während der Kissenträger nach dem Vorbild eines Spinnennetzes konzipiert wird. Dabei geht es dem Team nicht um Kopien der Natur, sondern um Inspiration, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Tobias Ballreich. Vom Moostierchen werde die effiziente Struktur der Behausung übernommen. Das Experimentieren mit möglichen Materialien geschieht im 3D-Drucker. Auf deren Einsatz ist der wissenschaftliche Mitarbeiter Otto Hemmelmann spezialisiert.

Die Ziele des Vorhabens sind klar definiert und durchaus ambitioniert: Nicht nur leichter und ressourcenschonender sollen die Endprodukte sein, sondern für die Passagiere auch komfortabel und ergonomisch. Wärme- und Feuchtestau soll vermieden werden und bei alldem dürfen die sicherheitsrelevanten Aspekte nicht aus den Augen verloren werden.

Vielversprechende Ansätze vorhanden

»Im gegenwärtigen Stand der Technik sind durchaus vielversprechende Ansätze vorhanden«, erläutert Projektleiter Jung. Sein seit Juli 2021 laufendes Vorhaben geht demnächst in die entscheidende Phase. Die prototypische Umsetzung erfolgt durch die Grammer AG. Der Sitzhersteller ist spezialisiert auf die Entwicklung und Herstellung von Komponenten und Systemen für Fahrzeuginnenausstattung in Personenwagen wie in Lastwagen, Bussen und Bahnen. Die Fördersumme liegt bei 396.000 Euro, davon entfallen allein 289.000 auf die THM.

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