Eingereicht hatte den Antrag die sogenannten Rotwelsch-Dialekte, zu denen auch das Manisch gehört, als Träger kultureller Ausdrucksformen anzuerkennen, der Sprachwissenschaftler Klaus Siewert, Vorsitzender und Gründer der internationalen Gesellschaft für Sondersprachenforschung im Herbst 2023. Die Stadt Gießen hatte den Antrag für die Anerkennung des Manischen mit einem Begleitschreiben unterstützt. Für das Museum für Gießen hatte Mário Jorge Alves, der selbst zum Thema als Sozial- und Kulturanthropologe gearbeitet hat, die Unterstützung begründet.
Ober-Tschabo Frank-Tilo Becher freute sich über die nun erfolgte Anerkennung: »Das ist eine latscho Nachricht für Gießen! Manisch ist längst ein Identifikationsmerkmal und ein Alleinstellungsmerkmal für und in unserer Stadt geworden. Wer Gießener ist, kennt das Manische - zumindest einzelne Wörter. Und wer zuzieht, braucht auch nicht lange, um den Reiz dieser ursprünglichen Geheimsprache zu verspüren.«
Geheimsprache von Randgruppen
Besonders in den vergangenen Jahrzehnten, so hatte das Museum begründet, konnte sich das Gießener Manisch, ursprünglich Geheimsprache gesellschaftlicher Randgruppen, zu einem Gießener Identifikationsmerkmal entwickeln. Seit den 1970er-Jahren - nach Aufgabe seiner früheren Funktion - wird es wieder verstärkt benutzt, in verschiedenen medialen Formen, immer aber als Symbol einer gemeinsamen Identität der Einwohner der Stadt. Wer sich als Gießener bezeichnet, muss also einige der sondersprachlichen Ausdrücke, Sprüche und dergleichen kennen. Wer sie kennt, die Sprüche und Ausdrücke, gehört dazu, so die Begründung. »Das Gießener Manisch wird als Identifikationsmerkmal als besondere Kulturform gelebt.«
Auch Oberbürgermeister Becher erinnerte daran, dass Manisch bei fast jedem Namensgebungswettbewerb eine Rolle spielt. Nicht umsonst hieß vor wenigen Jahren noch ein Zweitliga-Basketballteam »Gießen Rackelos«, also Gießener Jungs. Überall in der Stadt finden sich Spuren des Manisch auf großflächigen Graffitis, auf T-Shirts und Kappen, auf Tassen und Postkarten mit Manisch-Deutsch-Übersetzungen, in Kreuzworträtseln und Songs von diversen Gießener Musikern und Bands, auf Speisekarten von Imbissbuden oder bei Stadtteilrundgängen durch die Gießener »Gummiinsel« - einer Heimat des Manischen.
Becher will diese Auszeichnung auch als Auftrag verstanden wissen, das Manische in Gießen zu pflegen: »Manisch gehört auf die Straße und zur gesprochenen Sprache in unserer Stadt. Und das soll auch so bleiben. Dennoch freue ich mich, dass unser Museum für Gießen unserer Gießener Besonderheit im neuen Museum auch einen besonderen Platz einräumen wird«, kündigte er an. In der geplanten Dauerausstellung wird das Manische (unter anderem in Multimedia-Stationen) erfahrbar werden, denn es wird von Sprechern in Form von erzählten Geschichten, Liedern und Sprachbeispielen dargestellt werden, eingebettet in kultur- und sozialgeschichtliche Kontexte.
Dort wird man dann auch viele Hintergründe der einstigen Geheimsprache erfahren. So wie alle Rotwelsch-Dialekte diente das Manisch als Geheimsprache, so dass es nur einem ausgewählten Kreis verständlich war. »Zuhörer sollten also vom Verstehen des Gesagten ausgeschlossen werden«, fasste Antragsteller Klaus Siewert zusammen. Die dazu erforderlichen Mittel, so Siewert: Einflechtung von unverständlichen Wörtern (Tarnwörtern), etwa aus dem Westjiddischen, Jenischen oder dem Romani, in den Text. Die meisten dieser Geheimnisse sind heute in Gießen gelüftet. Und wem das ein oder andere Wort immer noch fremd vorkommt, der kann ja googeln.