08. Dezember 2022, 13:00 Uhr

Buseck

Im Katastrophenfall »das Undenkbare denken«

Die Landrätin des Landkreises Ahrweiler, Cornelia Weigand, gab im Kulturzentrum Buseck als Referentin Impulse für den Katastrophenschutz im Landkreis Gießen.
08. Dezember 2022, 13:00 Uhr
»Wie kann man das Unglaubliche glauben?« - Cornelia Weigand, Landrätin des Kreises Ahrweiler, gab Führungskräften aus Feuerwehren, Hilfsorganisationen und Verwaltungen im Kreis Gießen Impulse zum Katastrophenschutz. Foto: Landkreis

14. Juli 2021 in der Verbandsgemeinde Altenahr im Ahrtal: Feuerwehrleute warnen Menschen am Fluss vor einem angekündigten Unwetter mit Starkregen und Hochwasser. Manche nehmen die Warnung nicht recht ernst, einige beschimpfen die Feuerwehrleute sogar. Stunden später überrollt eine Flutwelle die Orte, deren Ausmaß unvorstellbar schien.

Risikowahrnehmung hat Leben gekostet

»Die Risikowahrnehmung an diesem Abend hat schließlich Menschenleben gekostet«, sagt Cornelia Weigand. Sie war am Tag der Katastrophe Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr, seit Februar dieses Jahres ist sie Landrätin des Kreises Ahrweiler. Sie weiß: Die Menschen an der Ahr waren Hochwasser gewohnt und wussten damit umzugehen. Aber eine solche Flut? »Wie kann man das Unglaubliche glauben? Wie kann man das Undenkbare denken?«, diese Fragen stellte Weigand einem Bericht über die Katastrophe und ihre Folgen voran, den sie auf Einladung des Landkreises Gießen in einem Auftakt-Workshop des Katastrophenschutzes im Kulturzentrum Buseck hielt. Dazu eingeladen waren Bürgermeister, Führungskräfte von Feuerwehren, Hilfsorganisationen, Stadt- und Gemeindeverwaltungen und der Polizei.

Gedanken über ungekannte Szenarien

»Denkanstöße einer Bürgermeisterin« - unter diesem Titel gab Weigand Impulse für den Katastrophenschutz vor Ort im Landkreis Gießen. Dass es nötig ist, sich über neue, ungekannte Szenarien Gedanken zu machen, zeigen zum Beispiel Waldbrände oder Starkregenereignisse, die immer häufiger auftreten - längst sind die Folgen des Klimawandels präsent. In Altenahr war die Feuerwehr vorbereitet auf ein Jahrhundert- und Extremhochwasser mit einem Pegelstand der Ahr von 4,50 Metern. Dafür gab es auch einen Sonderalarmplan. Am Abend des 14. Juli 2021 gab es schließlich Prognosen von sieben Metern Pegelstand, irgendwann stieg das Wasser in der Realität schneller als die Datenprognose. Schließlich schwoll die Ahr auf fast zehn Meter an und hinterließ unermessliche Verwüstungen. »Prognosen sind verlässlich. Aber reichen sie allein aus?«, fragte Weigand. Sie selbst saß an jenem Abend in einem Rathaus ohne Strom, erhielt verzweifelte Hilfe-Anrufe von Menschen, die auf Dächern um ihr Leben bangten; versuchte in den Tagen und Wochen danach, mitten in chaotischen Zuständen Strukturen zu schaffen und Hilfe zu organisieren. Als Landrätin trägt sie seit Februar kreisweit mit Verantwortung für den Wiederaufbau: Der Landkreis Ahrweiler verzeichnet 134 Tote, zwei Vermisste, 766 Verletzte, 9.000 zerstörte Gebäude und eine zu entsorgende Menge von Abfall und Unrat, die rechnerisch dem Aufkommen von 60 Jahren entspricht.

»Risikominimierung beginnt in Schulen«

Welche Lehren kann die Politikerin aus den Ereignissen ziehen, die auch anderswo als Anstoß dienen können? Weigand weist hier auch auf ein Umdenken jedes Einzelnen hin: »Risikominimierung beginnt in Schulen. Vorsorge sollte Bildungsinhalt sein«, fordert sie. Wenn Kinder und Jugendliche für das Thema sensibilisiert würden, seien sie zugleich auch Multiplikatoren für Eltern. In der abschließenden Gesprächsrunde mit dem Plenum plädierte sie für eine Bewusstseinsbildung, weg von einer Vollkasko-Mentalität (»die Feuerwehr wird’s schon richten«), hin zu mehr Eigenverantwortung - auch in Form von regelmäßigen Übungen.

Von Landrätin Anita Schneider gab es ein großes Dankeschön für die Impulse ihrer Amtskollegin aus dem Ahrtal, wo vergangenen Sommer auch Einsatzkräfte aus dem Landkreis Gießen die Aufräumarbeiten unterstützt hatten: »Gerade, weil die Risikowahrnehmung so unterschiedlich ist - von Mensch zu Mensch, aber auch von Verantwortlichen und in Kommunen je nach Lage vor Ort - müssen wir schauen, dass wir ein gemeinsames Bewusstsein entwickeln.«

Die Beteiligten aus den Kommunen gehen nun in einen zweiten, internen Workshop. Hieran nehmen die Bürgermeister und die Feuerwehrleitungen teil. In einem dritten Workshop werden die Ergebnisse aller Kommunen schließlich zusammengetragen, um gemeinsam Schritte zu priorisieren und umzusetzen.

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