03. September 2023, 13:00 Uhr

Gießen

Gericht erklärt Verkehrsversuch für rechtswidrig

Mega-Schlappe für die Stadtregierung und Bürgermeister Alexander Wright: Der umstrittende Verkehrsversuch auf dem Anlagenring ist noch vor Ende der letzten Umbauphase gescheitert.
03. September 2023, 13:00 Uhr
Der Abschnitt vom Stadttheater in Richtung Elefantenklo kann wohl am ehesten wieder für den Autoverkehr freigegeben werden. Dort läuft zurzeit die vierte Umbauphase. Foto: Häuser

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat den Verkehrsversuch als rechtswidrig eingestuft. Der Beschluss ist nicht anfechtbar. Mit bedröppelter Miene ging Wright nach Bekanntwerden der Gerichtsentscheidung vor die Presse. »Wir nehmen den Beschluss mit großem Bedauern auf. Rein faktisch ist der komplette Verkehrsversuch hinfällig«, musste er einräumen. Als Verkehrsdezernent war das Projekt eng mit seiner Person verknüpft. Rücktrittsforderungen erteilte der Grünen-Politiker jedoch eine klare Absage. »Ich habe mir persönlich nichts zuschulden kommen lassen. Von daher sehe ich dazu keinen Anlass«, sagte er.

Am Mittwoch um 10.42 Uhr hatte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel seinen am Vortag gefassten Beschluss öffentlich gemacht und eine Beschwerde der Stadt Gießen zurückgewiesen. Vorausgegangen war ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Gießen, das im Juli der Klage von Anwohnern gegen verkehrsrechtliche Anordnungen im Zusammenhang mit dem Verkehrsversuch stattgegeben hatte. Das VG hatte bereits befunden, die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Verkehrsversuch lägen nach aktueller Kenntnislage nicht vor. Daraufhin hatte die Stadt gegen diesen Beschluss Beschwerde beim VGH erhoben.

Die Kasseler Richter begründeten die Entscheidung, die Anordnung eines Verkehrsversuchs erfordere nach der Straßenverkehrsverordnung die Feststellung einer Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs sowie besondere Umstände, die den Versuch beziehungsweise dessen spätere Umsetzung zwingend erforderlich machten. Die Stadt habe weder die erforderliche Gefahr noch derartige besondere Umstände plausibel dargelegt. Auch habe sich die Stadt mit den Stellungnahmen des Polizeipräsidiums Mittelhessen sowie des Regierungspräsidiums Gießen, die erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit und Sinnhaftigkeit des Versuchs geäußert hätten, nicht hinreichend auseinandergesetzt.

Alternativen nicht hinreichend geprüft

Alternativen, zum Beispiel eine geänderte Radverkehrsführung durch die Innenstadt, seien nicht ausreichend geprüft worden, stellte der VGH fest. Da nur auf einzelnen Abschnitten des Anlagenrings erhöhte Unfallgefahren für Radfahrer bestünden, sei auch nicht erkennbar, weshalb die Einbeziehung des gesamten Anlagenrings in den Verkehrsversuch notwendig sei. Dies gelte auch in Anbetracht der hohen Verkehrsbedeutung des Anlagenrings für den Kraftfahrzeugverkehr und der demgegenüber derzeit geringen Nutzung durch Radfahrer.

Rückbau bis zum Frühjahr

»Der VGH ist damit nicht der Argumentation der Stadt gefolgt, die in der Beschwerdebegründung anhand von Verkehrsanalysen erläutert hatte, dass auf dem Anlagenring eine ›einfache Gefahrenlage‹ für Radfahrende bestehe, die zum Handeln legitimiere«, resümierte Wright. Er kündigte an, den Rückbau der Einbahnstraßen-Verkehrsführung schnellstmöglich und geordnet anzugehen. Dies könne aus Witterungsgründen, wegen der nötigen Beauftragung von Firmen und Umprogrammierungen von Ampeln, bis zum Frühjahr dauern. Es werde aber geprüft, ob der derzeit im Umbau befindliche letzte Bauabschnitt umgehend wieder für die ursprünglich vorhandenen Verkehrsbeziehungen geöffnet werden könne. Gleichzeitig würden die drei vor dem Verwaltungsgericht Gießen beklagten Einzelmaßnahmen in den kommenden zwei Wochen zurückgebaut.

Bedauerlich sei, so Wright, dass die Stadt die Richter in Kassel nicht davon habe überzeugen können, dass auf dem Anlagenring angesichts der tatsächlichen Gefahrenlage für Radler vorausschauend gehandelt wurde: »Das wollten wir - auch im Sinne eines geordneten und zügig fließenden Autoverkehrs auf dem äußeren Ring - ändern. Die derzeitigen rechtlichen Grundlagen verbieten uns das in dieser Form offensichtlich. Meine Hoffnung ist, dass unsere schlechten Erfahrungen in die bevorstehende Reform des Straßenverkehrsrechts einfließen und dass solche Gerichtsbeschlüsse künftig nicht mehr nötig und möglich sind«, sagte Wright.

Die Zeit bis zum Rückbau des Verkehrsversuchs im Frühjahr werde genutzt, um im Dialog mit der Bürgerschaft andere Formen der Sicherheit für Radfahrende auf dem Anlagenring zu diskutieren und zu entwickeln. Eines steht für den Verkehrsdezernenten aber schon fest: »So wie es war, kann es nicht wieder werden. Auf der anderen Seite akzeptieren wir das Gerichtsurteil und nehmen auch die Gegenbewegungen wahr. Nun geht es darum, die rechtlichen Rahmenbedingungen, die verschiedenen Interessen in der weiteren Planung zu moderieren und zu berücksichtigen.« (hä)

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