Eingeladen hatte die Initiative Demokratische Zukunft Marburg. Moderiert wurde die Veranstaltung von der Juristin Katrin Werner-Kappler. »Das Problem ist das demokratische Gegenüber.« Mit wenigen provokanten Worten machte Buchautor und Filmemacher Dirk Laabs deutlich, dass er von den demokratischen Parteien im Bundestag mehr erwartet, um die AfD zu stoppen. Vor der Bundestagswahl habe es bei SPD und Grünen keine klare Positionierung für ein AfD-Verbotsverfahren gegeben. Der Journalist sprach von einer »Notlage in Ostdeutschland«, dort herrsche Angst, zivilgesellschaftliche Organisationen fühlten sich alleingelassen. Hoffnung macht Laabs, dass sich Vizekanzler Lars Klingbeil jüngst für ein AfD-Verbot aussprach. »Jetzt liegt der Ball bei der CDU.«
Keine Protestwähler mehr
Einer, der seit Längerem ein Verbot der AfD fordert, ist der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz aus Sachsen. Auch im Lichte der Hochstufung zur gesichert rechtsextremistischen Partei hätten Kandidaten der AfD bei Landratswahlen in Mecklenburg-Vorpommern Werte von 40 Prozent erzielt. »Das sind keine Protestwähler«, so Wanderwitz. Er warnte vor einer Verbrüderung von AfD und noch radikaleren neonazistischen Gruppen. Es gebe ein Wiederaufleben der Baseballschläger-Jahre einer gewaltbereiten Szene. Das Überspringen der AfD-Wahlerfolge auf die Jungwähler zeige: »Da wächst sich nichts raus«, so Wanderwitz. Nazisprüche in der Grundschule belegten, wie die »Köpfe vergiftet« würden. Wanderwitz’ Fazit: »Die AfD muss raus aus den Parlamenten, wir müssen sie abschalten.«
Zu spät reagiert?
»Wir hätten früher aktiv werden müssen«, räumte Anna Lührmann (Bundestagsabgeordnete und Landesvorsitzende der Grünen in Hessen) ein. Sie setzt darauf, dass Bund und Länder sich zusammentun und ein Verbotsverfahren in die Wege leiten. »Die Beweise liegen vor, legen wir los.« Lührmann warnte davor, abzuwarten, bis ein Gerichtsurteil zum Verfassungsschutzgutachten vorliegt, das die AfD zur gesichert rechtsextremistischen Partei hochstuft.
»Wir müssen die CDU mit ins Boot bekommen.« Das ist für Sören Bartol (parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbauministerium und hessischer SPD-Chef) der »entscheidende Punkt«, damit das AfD-Verbotsverfahren im Bundestag beschlossen wird. Die AfD sei ein gesamtdeutsches Problem, so Bartol mit Blick auf hohe AfD-Ergebnisse auch im Landkreis. Desiree Becker (Linken-Vorsitzende in Hessen und seit wenigen Wochen im Bundestag) forderte, die sozialen Probleme der Menschen, wie zum Beispiel hohe Mieten, zu lösen. Nur so bekomme man die AfD aus den Köpfen der Menschen. »Und die anderen Parteien müssen aufhören, die Themen der AfD zu übernehmen.«
Nicht mehr nur soziale Probleme als Grund
Der Erfolg der AfD lässt sich aus Sicht von Laabs nicht auf soziale Probleme reduzieren: »Das ist in Ostdeutschland kein ›Arme-Leute-Thema‹.« Die AfD werde von überzeugten Rechtsextremisten, völkischen Rassisten und Antidemokraten gewählt. Und Wanderwitz ergänzte: »Chemnitz ist die deutsche Großstadt mit den niedrigsten Mieten, aber einer ausgeprägten Naziszene. Die Menschen wählen die AfD, weil sie so ist, wie sie ist.« Die »wehrhafte Demokratie«, die aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus geschaffen wurde, verfüge über das »scharfe Schwert« des Parteienverbots. »Andere liberale Demokratien schauen auf uns, ob das eine Lösung sein kann.« Journalist Dirk Laabs beobachtet, dass Institutionen »ohne Not Boden aufgeben«. So sagten etwa Schulen, Volkshochschulen oder Theater aus Angst vor der AfD Veranstaltungen ab. Gleichzeitig werde mutigen Initiativen vor Ort das Geld gestrichen.
Als Schlüsselthema gelten die sozialen Medien. Sie würden von Leuten gesteuert, denen die Demokratie gleichgültig sei, kritisierte Lührmann. »Das Netz muss für die Demokratie arbeiten statt dagegen«. Wanderwitz verlangte eine Regulierung durch die Europäische Union. »Wenn wir die Algorithmen nicht brechen, haben wir keine Chance.«
»Wen erreichen wir noch mit Großdemonstrationen?«, wollte Katrin Werner-Kappler wissen. Campact-Aktivist Felix Kolb zeigte sich in einer Videobotschaft von der Wirkung der Proteste überzeugt: »Die Brandmauer gegen rechts steht durch die Zivilgesellschaft.« Auf dem Podium warben alle Teilnehmer für Zusammenhalt. »Wir müssen in der CDU die stärken, die konservativ sind, aber absolute Demokraten«, sagte Bartol. Es gelte, »eine saubere Grenze in der Sprache zu ziehen und bei den Protesten die Richtigen zu treffen«.