04. Februar 2019, 15:00 Uhr

Lich

Vor 150 Jahren fängt der Siegeszug der Postkarte an

Alte Postkarten sind kleine Kunstwerke. Zudem sind sie zeitgeschichtliche Dokumente. Seit 150 Jahren gibt es Ansichtskarten.
04. Februar 2019, 15:00 Uhr

Ein Jubiläum, das den Verein der Briefmarkenfreunde 1960 Lich animiert hat, die Geschichte der Ansichtskarte nachzuzeichnen.

Viele Mitglieder der Briefmarkenfreunde 1960 Lich sammeln Ansichtskarten aus Lich und Umgebung. Der Verein selbst hat seit den 80er-Jahren etliche Ansichtskarten aufgelegt, welche über den Verein bezogen werden können oder jedes Jahr am historischen Postamt des Vereins der Briefmarkenfreunde 1960 Lich während des historischen Markts angeboten werden. Aus Anlass des Jubiläums »150 Jahre Ansichtskarte« folgt ein kurzer historischer Rückblick:

Die Frage nach der ersten Karte lässt sich nicht schlüssig beantworten. Bereits im Jahr 1777 soll der französische Maler und Stecher Demaison Gravuren auf Karten angefertigt haben, die dann mit der Post befördert wurden.

Allerdings ist kein einziges Exemplar je archiviert oder gar einem Sammler bekannt geworden. Erst 1861 erscheint in Amerika die erste Postkarte, allerdings ohne Ansichts- und Briefmarkeneindruck. In Deutschland verfasst Generalpostmeister Heinrich von Stephan 1865 einen »Vorschlag zu einem Postblatt«, der aber nicht weiter aufgegriffen wird. 1868 legen die beiden Leipziger Buchhändler Friedlein und Pardubitz unabhängig vonein- ander den Entwurf einer »Universal-Correspondenzkarte« vor.

Während Österreich die erste staatliche Postkarte 1869 einführt, dauert es bis zum 1. Juli 1870, ehe die Korrespondenzkarte in Deutschland amtlich zugelassen wird. Dieses neue Kommunikationsmittel wird von der Bevölkerung so gut aufgenommen, dass bereits innerhalb der ersten beiden Monate zwei Millionen Stück verkauft werden.

Deutsche Postkartenmanie

Am 16. Juli 1870 – 14 Tage nach der amtlichen Einführung – schreibt der Hofbuchhändler August Schwartz aus Oldenburg an seine Schwiegereltern in Magdeburg eine »Mobile Correspondenzkarte«, auf die er in seiner Druckerei ein Artilleriebild gedruckt und die er mit einem Vers versehen hat. Diese Karte wird allgemein als die erste Bildpostkarte angesehen. 1872 stellt der Nürnberger Franz Rorich eine Ansicht mit einem Motiv aus der Schweiz her, und der Münchener Lithograph Zrenner produziert eine Reihe verschiedener Karten. Wer aber letztendlich als Erfinder der ersten Ansichtskarte anzusehen ist, darüber besteht auch heute noch keine Klarheit.

Ab 1873 werden in Deutschland Ansichtskarten aufgelegt, bei denen die Ansicht im oberen Drittel der hochformatigen Karte eingedruckt ist. Seit dieser Zeit und bedingt durch die Legalisierung der privaten Karten, steigen die Auflagen rasant an und erreichen um das Jahr 1903 ihren Höhepunkt. Deutschland war in der Produktion und im Schreiben von Ansichtskarten weltweit führend. Der Grafiker Theodor Thomas Heine – Mitbegründer des »Simplicissimus« – charakterisiert die Postkartenmanie der Deutschen daher auch ganz treffend: »Bei einem Eisenbahnunglück sucht der Franzose eine Frauenbekanntschaft. Der Engländer lässt sich in seiner Zeitungslektüre nicht stören und ein Deutscher schreibt Ansichtskarten – notfalls sogar noch im Himmel.«

Wirtschaftliche Bedeutung

Auch im wirtschaftlichen Bereich erlangte die Postkarte eine immer größere Bedeutung und hatte einen erheblichen Anteil am Wachstum der Posteinnahmen. Wurden 1875 circa 62 Millionen Postkarten befördert, was einem Anteil von elf Prozent aller Briefe und Karten entsprach, so waren es 1900 circa 955 Millionen Karten mit einem Anteil von 36 Prozent. Aber nicht nur die Post profitierte von den steigenden Umsätzen. In der Ansichtskartenindustrie waren zu diesem Zeitpunkt etwa 30.000 Menschen tätig.

Durch seine Lage und seine malerische Altstadt mit den markanten und geschichts- trächtigen Gebäuden bot Lich eine Fülle von Motiven, die es wert waren, auf Ansichtskarten festgehalten zu werden. Namhafte Künstler wie Merian, T. Weber, Otto Ubbelohde und Otto Ackermann-Pasing haben Lich und seine Sehenswürdigkeiten in Stichen und Zeichnungen festgehalten, die später als Vorlage für Ansichtskarten dienten. Ereignisse, wie das 600-jährige Stadtjubiläum im Jahr 1900 oder der Besuch des Zaren von Russland im September 1910 in Lich, waren Anlässe, die auf Ansichtskarten dokumentiert wurden.

Die beiden ältesten Licher Ansichtskarten dürften Federzeichnungen des Licher Schlosses und des Mittelschiffs des Klosters Arnsburg sein. Sie wurden wahrscheinlich gegen Ende der 80er-Jahre des 19. Jahrhunderts hergestellt. Das genaue Datum ist nicht bekannt, lediglich die erste postalische Verwendung der Arnsburger Karte. Diese wurde am 27. Mai 1890 von Lich nach Groß-Gerau befördert, während die Karte mit dem Licher Schloss am 1. Dezember 1898 ihren Weg von Lich nach Genua in Italien nahm, wo sie bereits am nächsten Tag zugestellt wurde.

Alte Postkarten sind nicht nur schön, sie sind auch Kunstwerke. In der Blütezeit der Ansichtskarte von 1900 bis 1914 wurde ein so enormer Aufwand an Drucktechnik und Handarbeit mit Liebe zum Detail in die Karten gelegt, dass sich die heutigen Ansichten daneben eher bescheiden ausnehmen. Als zeitgeschichtliches Dokument vermittelt die Postkarte den Wandel der letzten 150 Jahre.

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