22. April 2018, 15:00 Uhr

Stadtallendorf

Ein Hoch auf die Erinnerung

Muss die Geschichte des Schlagers neu geschrieben werden? Dies lässt sich nach Kabarettrevue »Nutten, Koks und frische Erdbeeren« mit einem eindeutigen »Jein« beantworten.
22. April 2018, 15:00 Uhr
Mit dem Programm »Nutten, Koks und frische Erdbeeren« seit mehr als drei Jahren auf Erfolgskurs: Mary Roos und Wolfgang Trepper. Foto: Häuser

Schlagerikone Mary Roos und Kabarettist Wolfgang Trepper gelingt es bei ihrem fast dreistündigen Auftritt in Stadtallendorf jedenfalls grandios, dieses Kapitel deutscher Musikkultur in seine Einzelteile zu zerlegen. Dabei sind die Rollen klar verteilt: Trepper zitiert genüsslich die Inhaltslosigkeit dutzender Textzeilen von Schlager-Ohrwürmern, und Roos obliegt die Funktion der »Flüstertüte«, wenn sie nicht ganz ernst gemeinte »Interna« hinter den Kulissen der Schlagerbranche ausplaudert und neben ihren Kollegen auch sich selbst dabei gehörig auf die Schippe nimmt. Zwischendurch singt sie Hits aus der goldenen Ära ihrer Zunft und holt sich für ein Lied »Manfred« aus der ersten Zuschauerreihe auf die Bühne.

Ein Gagfeuerwerk brennt Wolfgang Trepper vor den rund 650 Besuchern ab. »Dam-da-da-da-da« ertönt zu Beginn die Fanfare der ZDF-Hitparade, und dann wettert Trepper auch schon los. Lästert erstmal minutenlang gehörig über das Alter von Mary Roos, die »alte Schachtel«, »Helene Fischer der Bronzezeit« und »Frau mit der Rentenversicherungsnummer 1«.

Deutscher Schlager »sinnfreies Gedudel«

Dann knüpft er sich den deutschen Schlager vor, für ihn alles sinnfreies Gedudel: etwa Jürgen Markus’ »Schmetterlinge können nicht weinen«. Dieser Text sei genauso, als wenn man singen würde: »Currywürste können nicht kotzen«, schleudert Trepper raus und erzeugt beim Publikum einen Lachanfall nach dem anderen. Dabei scheut sich Trepper auch nicht, Besucher in sein Programm spontan einzubeziehen: »Haben Sie Spaß bis jetzt? Dann sagen Sie Ihrem Gesicht noch Bescheid!«, witzelt er, und später kriegt es eine Zwischenruferin mit dem Kabarettisten zu tun: »Ich komm’ gleich mit dir nach Hause, latsch’ über dein Bett und stör’ deine Nummer!«

Kaum einer, der nicht sein Fett abbekommt. »Udo Jürgens hat man uns genommen, aber Bernhard Brink ist kerngesund«, mokiert sich Trepper, und Mary Roos erzählt dazu noch einiges über Brinks frühere »Tagesabschnittsgefährtinnen«. Im Zeitraffer werden die die Sechziger- bis Achtzigerjahre durchgenudelt: vom unsäglichen »Schmidtchen Schleicher« über »Vadder Abraham« bis zu Roland Kaiser: »Die Achse des Bösen hat uns fest im Griff«.

Highlights sind auch Treppers urkomische Ausflüge in die Welt der Siebzigerjahre. Wenn er in allen Einzelheiten schildert, wie damals der »Download« eines Musiktitels funktionierte: Kassettenrekorder vor den Lautsprecher des Fernsehers gestellt, 16 Tasten am Gerät runtergedrückt, und keiner durfte während der Aufnahme sprechen. Bis dann plötzlich die Tür aufgeht: »Nimmst du gerade auf?« Das Publikum kreischt vor Vergnügen.

Die Erinnerungen seien es, die den Schlager und das Leben an sich so besonders machen, ist sich Trepper sicher. Mehrere Dutzend Erinnerungen frischt er an diesem Abend auf – vom samstäglichen Baden nach »Daktari« über die Tücken des Bravo-Starschnitts bis zu den oberpeinlichen Fragen an Sexualaufklärer »Dr. Sommer«. Die Zuschauer sind begeistert – und nicht nur in Stadtallendorf. Die Revue geht in ihr viertes Jahr und der Erfolg ist ungebrochen. (hä)

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