29. Juni 2020, 13:00 Uhr

Weimar

Eigene Geschichte besser begreifen

Sie ist einzigartig in Hessen: Wo heute auf der »Zeiteninsel« in Argenstein Gebäude für Gebäude entsteht, haben tatsächlich früher Menschen gelebt.
29. Juni 2020, 13:00 Uhr
Rundgang über die »Zeiteninsel« (v.l.): Andreas Thiedmann, Christoph Ullrich, Peter Eidam und Richard Laufner. Foto: Regierungspräsidium

Das ist bei Ausgrabungen seit den 1990er-Jahren vor Ort wissenschaftlich nachgewiesen worden. Um aus den vielen Erkenntnissen über das Leben in früherer Zeit erlebbare Geschichte zu formen, war zunächst eine Vision notwendig, die sich nun nahezu auf der Zielgeraden befindet: 2022 will das »Archäologische Freilichtmuseum im Marburger Land« mit seinem Regelbetrieb starten. Veranstaltungen nach Anmeldung oder zum Tag der offenen Tür - wenn dieser wieder möglich sein sollte - gewähren auch jetzt schon einen Einblick. Der Bau des vierten Gebäudes wird zurzeit vorbereitet. Regierungspräsident Christoph Ullrich informierte sich über das Mammutprojekt, das vom Land Hessen mit 5,3 Millionen Euro gefördert wird.

»Nach dem Ende der letzten Eiszeit setzte hier im Tal allmählich die Besiedlung ein«, erläuterte Andreas Thiedmann vom Landesamt für Denkmalpflege. Ohne ihn gäbe es dieses Projekt und das Gelände in dieser Form nicht, auf dem Weimars Bürgermeister Peter Eidam, Richard Laufner vom Genossenschaftsvorstand und Markus Morr als Fachdienstleiter Kultur beim Landkreis Marburg-Biedenkopf dem Gießener Behördenchef die »Zeiteninsel« erläuterten.

Komplett neue Kulturlandschaft

Seitdem der Kiesabbau in der Nachbarschaft sowie Straßenbaumaßnahmen von der Landesarchäologie archäologisch begleitet werden, hat sich das Geschichtsbild in der Weimarer Lahntalweitung radikal verändert.

Seit 27 Jahren wird dort eine komplett neue Kulturlandschaft erschlossen. Eine vorgeschichtliche Besiedlung hielten Fachleute wegen der vielen Hochwasser in der Lahnaue lange für unmöglich. Grabungen haben die bisherigen Erkenntnisse grundlegend umgekrempelt: Aus beinahe allen Kulturepochen, seitdem der Mensch sesshaft wurde, sind die Archäologen auf Grundrisse von Gebäuden und viele weitere Zeugnisse von Siedlungen gestoßen - bis hin zu einem Angelhaken aus der Bronzezeit.

»Die erste Idee war, diese für Hessen seinerzeit besonderen Erkenntnisse anschaulich und im Wortsinn begreifbar zu machen«, berichtete Thiedmann. Dabei sollten nicht nur geschichtliche Fragen beantwortet werden, sondern ganz praktische: Wie wurde Getreide gemahlen, wie Feuer gemacht oder ein Zaun errichtet?

Inwieweit dieses Vorhaben bereits Realität geworden ist, zeigte der Rundgang über das weitläufige Gelände. »Es ist beeindruckend, wie mächtig die Gebäude schon damals waren«, sagte Regierungspräsident Ullrich vor dem Hauptgebäude des germanischen Gehöfts, wie es um die Zeitenwende vor rund 2.000 Jahren ausgesehen haben mag.

Gebäude anhand gefundener Grundrisse

Mensch und Tier lebten unter einem Dach. Nebenan steht noch eine Scheune, und ein Grubenhaus ist im Bau. Besucher befinden sich nun mitten in der Römerzeit. Hinzu kommen vier weitere Zeitstationen ab der Mittelsteinzeit. Sie zeigen, wie es damals - in verschiedenen Kulturepochen - gewesen sein könnte.

»Alle Gebäude beruhen auf den gefundenen Grundrissen hier vor Ort«, erläuterte der Archäologe weiter. Ein paar Meter weiter wird der Besucher noch einmal 4.500 Jahre zurückversetzt. Das 34 Meter lange, mit Stroh eingedeckte Langhaus der mittleren Jungsteinzeit ist imposant. Weitere Zeitstationen stehen bis 2022 auf dem Bauplan, von der Bronze- über die Eisen- bis zur Mittelsteinzeit, nicht zu vergessen die passende Gestaltung des jeweiligen Geländes.

»Die ›Zeiteninsel‹ ist eine große Chance, unsere eigene Geschichte besser zu begreifen, sei es aus privatem Interesse oder integriert in den Schulunterricht«, ist sich Regierungspräsident Ullrich sicher. Das bislang Geleistete sei ein wunderbares Beispiel dafür, »was aus einer kleinen Idee alles wachsen kann«. Die »Zeiteninsel« werde weit über die mittelhessische Region hinaus strahlen und Gäste aus ganz Deutschland anlocken.

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