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kommen bei uns nur im Süden sehr sporadisch vor«, hieß es bis vor wenigen Jahren noch über viele Tierarten, die heute im Botanischen Garten in Gießen regelmäßig beobachtet werden können. Das ist eine Folge der Klimaerwärmung, die vielen Arten eine Arealerweiterung ermöglicht. Selbst Arten aus fernen Ländern wie die Orientalische Mauerwespe (Sceliphron curvatum), ursprünglich in Nordindien und Nepal beheimatet, oder die Mexikanische Graswespe (Isodontia mexicana) aus Zentralamerika fühlen sich seit Jahren hier pudelwohl.
In diesem Jahr konnte ein neuer Exot für den Botanischen Garten nachgewiesen werden: Planuncus tingitanus, ein Vertreter aus der Insekten-Ordnung der Schaben. Wegen seiner ursprünglichen Heimat in Nordafrika wird der Neuankömmling auch als Marokkanische Waldschabe oder Tanger-Waldschabe bezeichnet.
Schaben haben einen schlechten Ruf. Ursache dafür sind Arten, die einen synanthropen Lebensstil pflegen.
Für diese Hausschaben sind die warm-feuchten Behausungen des Menschen ein Schlaraffenland, in dem es nie an Nahrung mangelt. Dort können diese Insekten durch Verbreitung und Übertragung von Krankheitskeimen die Gesundheit von Mensch und Tier ernsthaft gefährden. Allerdings sind es weniger als ein Prozent der etwa 3500 bekannten Schabenarten, die den Menschen in ihr Herz geschlossen haben. Die meisten dieser Tiere bevorzugen ein freies Leben in der Natur. Wie erfolgreich sie sind, wird durch 350 Millionen Jahre alte Fossilien ihrer Vorfahren belegt. Wie weit die Ahnentafel der Marokkanischen Waldschabe zurückreicht, ist nicht bekannt. Die erste wissenschaftliche Erfassung erfolgte 1914 durch den spanischen Zoologen Bolivar. 2007 wurde sie in Mainz entdeckt, was als Erstfund für Deutschland gilt. Und 2014 tauchten die ersten Exemplare der weitgereisten Schabe in Südhessen auf.
Im Sommer 2023 zeigte sie sich zum ersten Mal den Besuchern des Botanischen Gartens in Gießen. Allerdings muss die Exotin mindestens bereits 2022 im Zentrum der Stadt unterwegs gewesen sein, denn was im aktuellen Sommer gefunden wurde, waren verschiedene Larvenstadien. Diese Schabenbabys konnten aber nur aus bereits im Vorjahr abgelegten Eiern geschlüpft sein. Obwohl Babys können sie leider nichts dazu beitragen, das Image der Schaben aufzubessern, da ihnen nicht nur alle Kindchensignale fehlen, wie sie von Rehkitz und Robbenbaby bekannt sind. Vielmehr dürften die wieselflinken Huschbewegungen des platten Insektenkörpers mit den auffällig langen, ständig die Umgebung scannenden Fühlern den meisten Menschen einen Schauer des Schreckens über den Rücken jagen.
Verbreitung durch globalen Handel
Als charakteristisch für die Nymphen gilt ein quer über den schwarz oder braun gefärbten Körper laufendes, weißes Band. Daran ist die Marokkanische Schabe auch vom Laien eindeutig zu erkennen, während die erwachsenen Tiere nur noch durch Untersuchung der Genitalanhänge zu identifizieren sind.
Erschwerend kommt hinzu, dass es sich hier um einen Artenkomplex von möglicherweise drei Arten handelt. Über die Biologie dieser Tierart ist noch wenig bekannt. Womit sie ihren Hunger stillt, bleibt unklar. Die Spekulationen reichen von überreifen Früchten bis Pollen. Festzustehen scheint, dass die Tiere auf Büschen in Wärmezonen des Siedlungsbereichs besonders häufig zu finden sind. Das trifft auch auf den Botanischen Garten zu, wo sie auf verschiedenen Pflanzen zu beobachten waren - aber auch in einem Mülleimer. Als Waldschaben sollen sie menschliche Behausungen meiden. Und wenn sie doch mal auftauchen, dann lediglich aus Versehen. Dauerhaft sollen sie in Wohnungen nicht existieren können.
Da sich die Tiere nur durch Flugsprünge vorwärtsbewegen, geht man davon aus, dass bei ihrer Wanderung von Nordafrika bis nach Mitteleuropa eine anthropochore Verschleppung eine Rolle spielt. Der globale Handel und der weltweite Reiseverkehr unterstützen die Überwindung großer Entfernungen der nur eingeschränkt flugfähigen Insekten. Inzwischen kommen sie in vielen Bundesländern vor und zählen vielleicht bereits zu den häufigsten Waldschaben, was ihnen aber vermutlich keine Sympathiepunkte beim Menschen einbringt. Aber wer 350 Millionen Jahre Evolutionsgeschichte hinter sich hat, lässt sich die Lebensfreude nicht so schnell vergällen. Schaben plagen keine Zukunftsängste.