23. Juni 2021, 21:47 Uhr

Herz aus Stein?

23. Juni 2021, 21:47 Uhr
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Von Marc Schäfer
Blick in einen Mäusekäfig in einem Versuchslabor. Simple Papprollen dienen den Mäusen als Beschäftigungsmaterial. FOTO: DPA

Der Verein »Ärzte gegen Tierversuche« ruft derzeit zum vierten Mal zu einer Online-Abstimmung auf. Unter dem Motto »Herz aus Stein« will der Verein mit dem gleichnamigen Negativpreis auf die seiner Meinung nach »schlimmsten, grausamsten und absurdesten« Tierversuche aufmerksam machen. Nominiert ist in diesem Jahr auch das Institut für Tierernährung und Ernährungsphysiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) mit einem Versuch, »bei dem Mäuse bis zur Erschöpfung laufen müssen«, heißt es in einer Pressemitteilung. Bürger können aus einer Liste mit fünf Kandidaten auswählen.

JLU widerspricht

Laut »Ärzte gegen Tierversuche« soll in Gießen »im Rahmen der Sportmedizin untersucht werden, ob das Vitamin Nicotinsäure die Ausdauerleistung von Mäusen« erhöht. Zu diesem Zweck - heißt es in der PM - bekämen Mäuse das Vitamin in unterschiedlichen Dosierungen ins Futter gemischt. »Fünfmal pro Woche müssen die Mäuse 35 Minuten pro Tag ein Ausdauertrainingsprogramm auf einem Laufband absolvieren. Die Geschwindigkeit wird dabei langsam erhöht, bis zur Erschöpfung der Tiere. Als Erschöpfung wird angesehen, wenn die Maus zweimal rückwärts auf das Laufband fällt. Alle Mäuse werden am 43. Tag des Experiments unter Kohlendioxid-Anästhesie enthauptet, um ihre Muskeln zu untersuchen.«

Die JLU widerspricht dieser Schilderung. »Die Belastung durch das Laufen auf dem Laufband wurde im Tierversuchsantrag als gering eingeschätzt, da die Tiere auf dem Laufband nach der Gewöhnung freiwillig gelaufen sind und kein dauerhafter Zwang ausgeübt wurde. Sobald die Mäuse nicht mehr laufen wollten, ließen sie sich zurückfallen und das Laufband wurde gestoppt«, sagt JLU-Sprecherin Lisa Dittrich auf Anfrage. Die Uni weist zudem daraufhin, dass die beschriebenen Versuche bereits im Jahr 2013 stattgefunden haben. Bei den Versuchen sei es um Grundlagenforschung zum Fettstoffwechsel gegangen. »Wie alle anderen Tierversuche der JLU wurden auch diese Versuche vom Regierungspräsidium genehmigt. Bei Anträgen auf Tierversuche wird im Beratungsgespräch mit den Tierschutzbeauftragten unter anderem geprüft, ob das sogenannte 3R-Prinzip ausgeschöpft wurde«, heißt es weiter von der Uni. Die Genehmigung erfolge nur, wenn nachvollziehbar dargelegt werden könne, dass der Tierversuch notwendig und ethisch vertretbar sei. Dabei gelte: Die Fragestellung des Versuchs darf bisher noch nicht bearbeitet worden sein. Dittrich: »Vor allem muss das Projekt alternativlos sein. Sollte sich die wissenschaftliche Fragestellung auch ohne den Einsatz von Tieren beantworten lassen, wird der Versuch nicht genehmigt. Inhalte des Antragsformulars sind rechtlich vorgeschrieben und finden sich auf den entsprechenden Seiten des RP Gießen.«

Der Verein »Ärzte gegen Tierversuche« indes meint: »Den Zusammenhang zwischen Vitamineinnahme und Ausdauerleistung könnte man problemlos an freiwilligen Menschen erforschen und würde so zu aussagekräftigen Ergebnissen gelangen, statt Mäuse derart zu quälen.«

Der Preis »Herz aus Stein« stehe für eine »herzlose Forschung, bei der fühlende Tiere zu bloßen Messinstrumenten degradiert werden«, sagt Dr. Corina Gericke, Vizevorsitzende von »Ärzte gegen Tierversuche«. Natürlich seien alle Tierversuche schlimm und überflüssig, mit der Abstimmung wolle man exemplarisch einige besondere ans Licht der Öffentlichkeit bringen«, so Gericke weiter.

Versuch aus 2013

Neben Gießen stehen auch die Uni Oldenburg mit einem tödlichen Versuch an wildgefangenen Singvögeln, die Uni Tübingen, wo die Auswirkung von Schlafentzug auf eine tödliche Blutvergiftung an Mäusen untersucht werde, das Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln, wo Mäuse fast ihr ganzes Leben hungern müssten, und die Medizinische Hochschule Hannover mit einem Versuch an alkoholsüchtig gemachten Ratten in der Kritik des Vereins.

»Ärzte gegen Tierversuche« prangere aber nicht nur an, sondern setze sich auch für die Entwicklung und Etablierung tierversuchsfreier Methoden ein, heißt es weiter. Am Samstag, 26. Juni, veranstalten Arbeitsgruppen des Ärztevereins in Gießen und weiteren Städten Aktionen, um auf das Tierleid aufmerksam zu machen. Unter anderem würden Mäuse auch bei Botox-Tests durch Lähmung der Atemmuskeln bei vollem Bewusstsein erstickt. Die Abstimmung zum »Herz aus Stein« ist anonymisiert und läuft bis 28. Juni unter www.herz-aus-stein.info.



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