. »Man war ja nicht Fallschirmspringen, sondern Kuchen essen.« Mit solchen bildlichen Umschreibungen gestaltet der international erfolgreichen Autor Saa Staniic seine unterhaltsamen wie nachdenklichen Texte, die am Mittwochabend auch ihr Publikum in Gießen begeisterten. Sein aktueller, in Auszügen vorgelesener Roman »Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne«, erzählt teils autobiografisch, teils autofiktional von der Suche nach Identität.
Buntes Mosaik der Menschen
Eine Kooperation des Literarischen Zentrums Gießen (LZG), dem Institut für Slavistik der Justus-Liebig-Universität (JLU) und dem Gießkannenmuseum hatte den Autor nach Gießen geholt. Der »Gießkannenroman«, welcher den »wahrscheinlich längsten Titel der deutschen Gegenwartsliteratur trägt«, erzählt aus dem kunterbunten Mosaik des Lebens ganz unterschiedlicher Menschen. Sie stehen an verschiedenen Orten im Leben, haben aber eines gemein: Die Hoffnung liegt im Blick nach vorn. Staniic trug zwei der Erzählungen des Romans vor.
Moderator Dirk Uffelmann, Professor für slawische Literatur, führte das Publikum durch die Biografie des in Viegrad geborenen und im Bosnienkrieg 1992 mit seinen Eltern nach Deutschland geflohenen Staniics, machte Halt an für den Autor prägenden Stationen und ging zugleich auf die inhaltliche Tiefe ein, die sich in den Texten auftut. Denn die selbstreflexive Kunst des 47-Jährigen schneidet selbst in Kinderbüchern große Themen an: »Staniic ist gesellschaftspolitisch hoch aktuell.«
Die Lesung begann mit der Eröffnung des Romans. Eine Gruppe von Teenagern verbringt einen Juninachmittag in den Weinbergen, philosophiert über die Welt, die Zukunft und den kommenden Sommerurlaub. Ihr Thema: Ein »Proberaum für das Leben«: »Wie bei Deichmann, nur nicht mit Schuhen, sondern mit dem Schicksal.« Mit jugendlichem Optimismus beratschlagen sie unter anderem Implikationen für Einzelperson und Gesellschaft.
Anschließend widmete sich Staniic einer ergänzten Version des dem Roman seinen Namen gebenden Textes. Gisel ist jüngst verwitwet. Hermann war über 50 Jahre lang an ihrer Seite gewesen, doch nun war sie allein. Wie sollte es weitergehen? Über diese Frage nachdenkend, hinkt die ältere Dame durch ihren Alltag, tauscht sich mit ihrer Freundin Ulla über Enkeltricks aus und grübelt über das mit der Platzierung der Gießkanne am Grab angedeutete »Friedhofs-Tinder«. Bei einer Lesung im Saarland hatte der Autor einmal ins Publikum gefragt, ob es diesen Brauch hier tatsächlich gäbe. Eine ältere Dame hatte ihm geantwortet: »Kennen? So habe ich meinen Dieter kennengelernt.« Staniic schloss seine Lesung mit einem breiten Lächeln und einer Verbeugung: »Ich habe selten eine Lesung gehabt, wo niemand eingeschlafen ist.«
Die freie Präsentation seiner Texte war ebenso lebendig wie unterhaltsam. Der Grund für diese Art des Vortrags ist für den in Hamburg lebenden Deutsch-Bosnier ein pragmatischer. So könne er größere Aufmerksamkeit bei seinem Publikum erzielen, auf dessen Stimmung eingehen und so ein »Angebot zum Gespräch« schaffen. Die Botschaft wird in ihrem Umfang verdichtet und pointiert, so Staniic.
Am liebsten liest er aber aus seinen Kinderbüchern vor. »Das Kinderpublikum stellt eine eigene Herausforderung dar.« Um deren Aufmerksamkeit zu halten, bedarf es feinerer Nutzung von Gestik, Mimik und Rhetorik. Wenn ein solcher Vortrag aus »Hey, hey, hey, Taxi!« oder »Panda-Pand« funktioniert, dann gelingt ihm etwas Besonderes: »Die Kinder merken dann, was Literatur kann.«
Seine szenische Lesung wurde vom Publikum mit langanhaltendem Applaus bedacht. Augenblicklich hatte sich für die Signierstunde eine Schlange gebildet, die bis zum anderen Ende des Saals reichte.
Nach einem begeisternden Abend im seit Wochen ausverkauften Haus zieht das LZG eine positive Bilanz. »Dass Staniic hier Station gemacht hat, ist ein großes Kompliment für das Literarische Zentrum«, freut sich der Vorsitzende Prof. Sascha Feuchert.