Zugegeben, das liest sich zunächst merkwürdig: Die Stadt soll »Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt« werden. Es handelt sich dabei jedoch um einen Rechtsterminus, den das Baugesetzbuch und eine hessische Verordnung definieren. Und der Möglichkeiten eröffnet: »Ein zentrales Instrument ist die Mietpreisbremse. Danach darf die Miete für eine neu vermietete Wohnung in der Regel nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen«, erklärt Stadtrat Francesco Arman von der SPD. Es gebe Ausnahmen, beispielsweise wenn die Wohnung umfassend modernisiert wurde.
Bereits 2020 sei der Stadt bescheinigt worden, dass sie eine geringe Leerstandsquote habe, zu geringen Neubauumfang und gleichzeitig zu wenig Wohnungen für die Versorgung insgesamt. »Dies sind Zeichen für einen angespannten Wohnungsmarkt. Dagegen waren die Höhen der Mieten unterdurchschnittlich und sie stiegen im zeitlichen Verlauf auch nicht so stark an«, erläutert der Sozialdezernent. Mittlerweile hätten sich die Kriterien jedoch erfüllt. Maßgeblich für die Einstufung als »Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt« sei die aktuelle Fortschreibung des Gutachtens des IWU-Instituts, ergänzt Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher von der SPD. Es sei noch nicht veröffentlicht und wird erst nach offizieller Abnahme durch die Landesregierung öffentlich zugänglich gemacht. »Das hessische Wirtschaftsministerium hat der Stadt jedoch bereits mitgeteilt, dass Gießen nach der neuen Einschätzung die Kriterien für einen angespannten Wohnungsmarkt erfüllt«, berichtet der Oberbürgermeister. Damit werde jetzt amtlich, was bei der Wohnungssuche längst schon gefühlte Realität sei.
Die Einstufung, die ab November gelten soll, eröffne der Stadt weitere Möglichkeiten, erläutert Arman. Ob sie jeweils zielführend sind und angewendet werden, will die Stadt dann prüfen. Dazu zähle das Umwandlungsverbot. »Die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen kann ab sieben Einheiten in einem Komplex künftig nur noch mit behördlicher Genehmigung erfolgen. Diese Regelung soll verhindern, dass Mietwohnungen dem Markt entzogen werden und sich die Situation für Mieterinnen und Mieter weiter verschärft.«
Ordnungsrechtliche Maßnahmen
Auch das Leerstandsgesetz des Landes Hessen spiele eine Rolle. Es ermögliche es Behörden, gegen länger leerstehende Wohnungen vorzugehen. In bestimmten Fällen könnten ordnungsrechtliche Maßnahmen ergriffen werden, um brachliegenden Wohnraum wieder nutzbar zu machen. »Zusätzlich kann die Stadt Gießen im Rahmen der neuen Einstufung baurechtliche Instrumente anwenden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann sie Erleichterungen oder Befreiungen von baurechtlichen Vorgaben gewähren, um den Wohnungsbau zu fördern und zusätzlichen Wohnraum zu schaffen«, erklärt der zuständige Sozialdezernent. Vereinfacht werden könnten so beispielsweise Aufstockungen, wie sie die Wohnbau derzeit im Flussstraßenviertel plant.
Die Einstufung hänge noch an zwei ausstehenden Kabinettsbeschlüssen der hessischen Landesregierung. »Wir können künftig sozial gerechter handeln, zielgerichteter steuern und dem Wohnraummangel mit wirksameren Mitteln entgegentreten«, resümiert der Sozialdezernent von der SPD.