Es wäre ein Baugebiet so groß wie ein eigenes Dorf geworden: Hungen-West. Rund 250 Bauplätze für circa 600 Wohneinheiten waren vorgesehen, eine eigene Kita sollte ebenfalls errichtet werden. Doch im vergangenen September wurden die Pläne auf Eis gelegt. Gestiegene Zinsen und Baupreise sorgten dafür, dass viele Interessenten abgesprungen sind.
Hungen ist kein Einzelfall. Auch Langgöns kennt das Problem. Als die Verantwortlichen die Baugebiete in Espa und Dornholzhausen auf den Weg brachten, waren die Bewerberlisten rappelvoll. »Mittlerweile haben einige Interessenten für Bauplätze in Espa ihre Anfrage zurückgezogen«, sagt Bürgermeister Marius Reusch. »Fast immer mit dem Argument der derzeitigen Finanzierbarkeit.«
Björn Erik Ruppel kann die Sorgen der Bauwilligen verstehen. Der Geschäftsstellenleiter Laubach der Sparkasse Laubach-Hungen hält allerdings auch fest: »Es ist nicht so, dass sich niemand mehr leisten kann, ein Haus zu bauen oder zu kaufen.« Die Bedingungen seien zwar andere als noch vor zwei Jahren in der Niedrigzinsphase - jedoch noch immer besser als beispielsweise 2010 oder 1995. Vor 28 Jahren waren etwa noch 8,5 Prozent Hypothekenzinsen fällig, 2010 fast 4,5 Prozent. »Und selbst das waren Zinssätze, von denen unsere Großeltern geträumt hätten.«
Es gibt allerdings zwei große Unterschiede: Bauen oder kaufen war damals noch wesentlich günstiger. In den vergangenen Jahren haben die Immobilienpreise gerade in den Metropolen deutlich angezogen. Dies hat dazu geführt, dass die noch vor 20 Jahren prognostizierte Landflucht sich in Mittelhessen mittlerweile ins Gegenteil verkehrt hat, da Menschen zuziehen, die sich im Rhein-Main-Gebiet keine Immobilie mehr leisten können. »Die Nachfrage ist wieder da«, sagt Ruppel.
Natürlich mache es bei der Gesamtsumme einen Unterschied, ob ein oder vier Prozent Zinsen anfallen, sagt der Finanzfachmann. Jedoch könne jemand, der sich 2020 einen Hausbau leisten konnte, dies noch immer. »Die Finanzierung ist nur komplexer geworden.«
Weiterhin gelte: 15 bis 30 Prozent Eigenkapital sollte jeder Kaufwillige mitbringen. Bei einem Haus für 400 000 Euro wären dies mindestens 60 000 Euro - für junge Familien ein dickes Brett, wenn es keine Erbtante gibt.
»Man kann aber Ersatzleistungen finden«, sagt Ruppel. So bietet etwa die KfW Förderdarlehen mit zinsgünstigen Krediten. Auch das »Hessendarlehen« des Landes, das über die WI-Bank läuft, kann mit einem Zinssatz von 0,6 Prozent bis 150 000 Euro das Eigenkapital ersetzen. Dieses Darlehen erhält, wer unter bestimmten Einkommensgrenzen bleibt: 67 400 Euro für zwei Verdiener plus 13 400 Euro pro Kind, brutto. »Das deckt doch einiges ab«, sagt Ruppel. Es wird nur für selbstgenutzten Wohnraum gewährt und auf der Baustelle ist auch Eigenleistung gefragt.
Von den gestiegenen Baupreisen sollten sich Interessierte aus Sicht Ruppels nicht abschrecken lassen. Dass diese in Zeiten von Handwerkermangel in den kommenden Jahren wieder stark zurückgehen werden, erwartet er nicht. Pauschale Aussagen seien jedoch nicht möglich, »es ist immer eine Einzelfallprüfung«. Er rät darum dazu, sich bei der Bank oder Sparkasse des Vertrauens persönlich beraten zu lassen, bevor man auf Immobiliensuche geht. Denn dabei kann man erfahren, wo die finanziellen Obergrenzen liegen und welche Fördermöglichkeiten man nutzen kann. »Dann hat man eine Hausnummer, mit der man sich auf dem Markt umschauen kann.«
In die Rechnung sollten zudem die Erwerbskosten eingepreist werden. Beim Hauskauf werden beispielsweise sechs Prozent Grunderwerbssteuer fällig, hinzu kommen die Notarkosten und weitere Gebühren, etwa für den Grundschuldeintrag für den Kredit. Die Faustformel: Rund zehn Prozent des Immobilienpreises, wenn auch ein Makler eingebunden ist. Beim Neubau hingegen ist es etwas günstiger, da nur die Grundsteuer auf das Baugrundstück anfällt. Wer weiß, dass er erst in ein paar Jahren Geld für Kauf, Neubau oder Sanierung braucht, könnte sich zudem noch über einen Bausparvertrag die günstigen Zinsen der vergangenen Jahre sichern.
Auch bei den Kommunen denkt man längerfristig, wenn man dem Ziel treu bleiben möchte, heimischen Bauwilligen den Vorrang zu geben. Da Langgöns seine Bauplätze selbst vermarktet, »haben wir anders als privatwirtschaftliche Entwickler keinen Zeitdruck bei der Vermarktung«, sagt Bürgermeister Reusch. Im Gegenteil: »Wir sind ohnehin darauf bedacht, die Bauplätze behutsam zu vermarkten, sodass auch in vier Jahren Bauwillige sich noch auf einen Platz bewerben können.«
In Hungen erwartet man, dass die Nachfrage wieder anziehen wird. »Mit Anbindung der Horlofftalbahn an den Ballungsraum Frankfurt dürfte mit einer erhöhten Nachfrage zu rechnen sein«, sagt Hungens Bürgermeister Rainer Wengorsch. Damit sich die Frankfurter nicht alle Bauplätze wegschnappen, hat Hungen wie andere Kommunen auch eine Leitlinie zur Vergabe entwickelt.