04. Mai 2021, 13:00 Uhr

Marburg

»Kunst machen ist ein Abenteuer«

Ein Hauch von Mittagessen hängt im Haus, als Gottfried Müller alias »Gofi« die Tür öffnet für das Marburger Kultur-trotz-Corona-Team »High Five mit JPG«.
04. Mai 2021, 13:00 Uhr
Gofi Müller nutzt jeden Winkel seines Künstlerzimmers, um seine Kreativität zu leben. Foto: Sabine Jackl

Beim Gang zum Balkon fällt der Blick auf kleine und größere Schuhe vor den Zimmern, hinter den geöffneten Türen vielerlei Lebensspuren: Hier wohnt eine bunte Familie. Mit Blick auf den Cappeler Waldrand ist das Gespräch in schönem Fluss, noch bevor Fotograf Chris Schmetz »Aufnahme« drückt fürs Youtube-Video.

Nach Bildhauerin Regina Schnersch und Theaterschauspielerin Inga Blix ist das Interviewteam zu Gast im Kreativbereich eines Mannes, für den die Umschreibung »künstlerischer Tausendsassa« nicht übertrieben ist. Seine eloquenten Antworten auf die fünf Fragen des »High Five«-Interviewformats, mit feinen Antennen für ihr Gegenüber gestellt von Jessica Petraccaro-Goertsches, weisen Gofi Müller als Mensch überaus wachen Geistes aus.

»Hier schreibe ich«, zeigt er durch die Balkontür in ein kleines Zimmer, an dessen Rückwand ein Schreibtisch Platz für zwei Computerbildschirme bietet. »Und da lese ich meine Podcasts ein«, weist er auf ein Stehpult in der Ecke. Daneben schmiegt sich ein schmaler Tisch entlang der Fensterbank, auf dem er die Aufnahmen schneidet. Beispielsweise »Hossa Talk« über »Christsein in einer komplexen, manchmal chaotischen Welt«. Auch sendet er »Cobains Erben«, wo er andere Kreative über ihr Wirken zu Wort kommen lässt.

Öfter spezielle Situationen bewältigt

Das Leben im Lockdown ist auch für die vierköpfige Familie oftmals eine Herausforderung. Allerdings gehört die Bewältigung spezieller Situationen zu seinem Leben, seit er 1970 als fünftes von sechs Pfarrerskindern geboren wurde und in Bremen im Stadtteil Huchting aufwuchs. Hier spielt auch sein Kurzgeschichtenroman »Huchting - Geschichten von der Straße« (2020, Adeo-Verlag). Die Fortsetzung wird sich aus dem papiernen Zeitplan an der Zimmertür entwickeln: handschriftliche Notizen über reale Geschehnisse des Jahres 2013, in dem die Haupthandlung spielen soll.

»Ich will mir konkret vorstellen, was mit meinen Figuren geschieht«, sagt Gofi Müller, der lange nicht absehen konnte, dass mal das Schreiben ins schöpferische Zentrum rücken würde. Vielmehr war es das Reden, genauer: das Predigen, das lange sein Tun ausmachte. Nach dem Literaturstudium in Bielefeld zieht er als evangelikaler Jugendprediger durchs Land, wohnt seit 2006 mit seiner Familie in Marburg, mit Rücksicht auf die Kinder am ruhigen Stadtrand, ist weiterhin auf Tour. Immer höher der Druck, immer professioneller sein Glaube - nach elf Jahren steigt er aus. Als Hausmann besinnt er die ihm innewohnende Religiosität, lässt Zweifel und Fragen zu, findet seine ureigene Freiheit im Glauben und erkennt: »Die Kunst ist wichtig für meine Spiritualität.«

Kein missionarischer Ansatz in der Kunst

Im Gegensatz zu den Predigerjahren gebe es in seiner Kunst »keinen missionarischen Ansatz«. Sicher, das eigene Leben spiele mit rein: »Was ich bin, hat Auswirkungen auf meine Arbeit«, doch »biografisches Rumdeuten« mag er nicht. Ob Roman, Malerei, Musik, Fotografie - für ihn zählen weniger die ästhetischen Mittel als vielmehr das Schaffen von etwas Neuem. »Deshalb probiere ich so viel aus.«

Mit Sprache habe er schon immer gearbeitet, manchmal sei ihm das Schreiben auch zu viel. Dann ziehe er sich in die Natur zurück oder frage sich: »Was passiert, wenn ich male? Musiziere?« Gofi Müller sagt, er brauche die Kunst als Dialograum, der Interessierten offen stehe. Hier rolle er quasi einen Teppich aus und sage: »Komm rein!« Jede künstlerische Tätigkeit, egal welcher Richtung, sehe er als »Zugehörigkeit zu einer Familie«. Doch gelte es jedes Mal aufs Neue, die Versagensangst zu überwinden. »Kunst machen, das ist ein Abenteuer.«

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