15. Februar 2024, 13:00 Uhr

Grünberg

Grünberger Schulen erinnern an jüdische Ehemalige

51 Kinder aus jüdischen Elternhäusern besuchten zwischen 1884 und 1934 die weiterführende Schule. Daran wurde nun in der Theo-Koch-Schule mit der Enthüllung einer Gedenktafel erinnert.
15. Februar 2024, 13:00 Uhr
Schülerinnen und Schüler der Gallus- und der Theo-Koch-Schule bei der Enthüllung der Gedenktafel für jüdische Ehemalige. Foto: TKS

Das Datum war bewusst gewählt: Es lag zwei Tage nach dem 27. Januar, dem internationalen Shoah-Gedenktag, und rund zwei Jahre nach der ersten Veranstaltung dieser Art an der Theo-Koch-Schule. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Lehrerin Christina Müller im Schularchiv 42 jüdische Ehemalige ermitteln können und mit der Rekonstruktion ihrer Lebensläufe begonnen. In Zusammenarbeit mit Jens Hausner, dem Initiator des Erinnerungsortes für die deportierten jüdischen Familien von Londorf, und dem kürzlich verstorbenen Lokalhistoriker Hanno Müller konnten seitdem neun weitere jüdische Schüler gefunden werden.

Biografie von Walter Schönfeld im Fokus

Gestaltet wurde die Gedenkstunde von der TKS-Projektgruppe »Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage« und der benachbarten Gallus-Schule. Zuvor hatten - als Auftakt einer geplanten Kooperation zwischen den Nachbarschulen - Mitglieder einer Gallus-Schul-AG unter der Leitung von Monika Hotte die fehlenden Namen auf der Gedenktafel ergänzt. Daneben hatten sich die Jugendlichen intensiv mit der Biografie von Walter Isidor Schönfeld auseinandergesetzt und mit der Raster-Vergrößerungstechnik Porträts von dessen Familie angefertigt.

Walter Schönfelds Geschichte unterscheidet sich zunächst nicht von den Lebensläufen anderer begabter und aufstiegswilliger junger Menschen aus dem ländlichen Einzugsgebiet der weiterführenden Schule in Grünberg: Geboren am 12. September 1906 in Kesselbach als Sohn des Metzgers Simon Schönfeld und der Amalie Katzenstein, besuchte Walter von 1916 bis 1921 die Realschule in Grünberg. Nach seinem Abitur an der Oberrealschule Gießen stieg er im Gegensatz zu seinen älteren Brüdern nicht ins elterliche Metzgergeschäft ein, sondern machte eine Ausbildung zum Bankkaufmann, studierte Geisteswissenschaften an der Universität Gießen und erwarb einen Doktortitel in deutscher Literatur.

Die rassistische Bildungspolitik der Nazis bewirkte den ersten Bruch in Walter Schönfelds Biografie: Aufgrund des »Gesetzes gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen« wurde er Anfang 1933 von der Universität Gießen zwangsexmatrikuliert und musste das Politikstudium, das er erst ein Jahr zuvor begonnen hatte, abbrechen. Was danach geschah, erfuhr das Publikum durch eine Videobotschaft von Zachary Schonfeld, Journalist aus New York und Urgroßneffe von Walter Schönfeld. Schonfeld zitierte aus den Lebenserinnerungen seines Vaters Sidney, dessen Vater Moritz Schönfeld ebenfalls die weiterführende Schule in Grünberg besucht hatte: »Vor Kriegsausbruch entschied sich Walter, nach Holland umzuziehen, denn er dachte, Holland würde während des Krieges neutral bleiben. Das sollte sich leider als schlimmer Irrtum erweisen. Er heiratete in Holland und hatte eine Tochter, Trude. Eines Tages wurde die Familie [zusammen mit anderen Juden] in einem Schulhof zusammengepfercht, auf Viehwaggons verladen und in Konzentrationslager transportiert. Durch großes Glück kam vor dem Abtransport ein Nachbar der Familie auf seinem Fahrrad vorbei und nahm Trude von meiner Tante und meinem Onkel entgegen, um sie zu retten. Als der Mann den Schulhof mit Trude auf seinem Fahrrad verließ, stoppte ihn ein SS-Wachmann und fragte, wohin er das jüdische Mädchen bringe. ›Von wegen jüdisches Mädchen‹, antwortete der Nachbar. ›Diese Juden haben versucht, meine Tochter zu stehlen, und ich bin gekommen, um sie zu retten.‹ Der SS-Wachmann entschuldigte sich und gab den Weg frei, und so wurde Trudes Leben gerettet.«

Walter Schönfeld und seine Ehefrau Margarete, geborene Katzer, wurden in Auschwitz ermordet. Als Todesdaten sind der 31. März 1943 für Walter beziehungsweise der 30. November 1944 für Margarete Schönfeld angegeben. Nach dem Krieg wurde Trude von Verwandten mütterlicherseits in den USA adoptiert, unterrichtete Englisch an einem College, heiratete und bekam einen Sohn.

Dass Walter Schönfelds Geschichte kein Einzelfall war, betonten die TKS-Oberstufenschülerinnen Sarah Schmidt und Lucie Dörr, die sich seit mehr als zwei Jahren in der Erinnerungsarbeit engagieren, in einem aufrüttelnden Redebeitrag: »Antisemitismus, Hetze und Gewalt waren keine Phänomene, die es nur in Städten gegeben hat. Auch hier hat die Reichspogromnacht stattgefunden. Auch hier wurden jüdische Schüler und Schülerinnen ausgegrenzt, beschimpft und verletzt. Um diesen Menschen ein Gesicht zu geben, eine Stimme, um an diese Menschen zu erinnern, sind wir heute hier.«

Karin Bautz, Direktorin des Museums im Spital Grünberg, drückte in ihrem Grußwort ihre Freude aus über die gute Zusammenarbeit zwischen Schule und Museum. In diesem Jahr sollen weitere Biografien jüdischer Ehemaliger in die Dauerausstellung integriert werden. Ein Bläserensemble aus Gießen unter der Leitung von Michael Wendel bereicherte die Gedenkveranstaltung mit jüdischen Liedern.

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