03. März 2025, 13:00 Uhr

Gießen

»Die Menschen sind deprimiert«

Die Gießener Organisation Global Aid Network (GAiN) kehrte von ihrer mittlerweile sechsten Hilfslieferung während des Krieges aus der Ukraine zurück.
03. März 2025, 13:00 Uhr
Das deutsche Team mit den beladenen Lkw direkt vor der Abreise. Foto: Pettkus

Seit drei Jahren dauert der Krieg in der Ukraine an, das vierte hat gerade begonnen. Ein langer Zeitraum, in dem bei vielen Leuten im »sicheren« Teil der Welt bereits eine Gewöhnung stattgefunden hat. Doch an einen Krieg sollte man sich nie gewöhnen. Denn nach wie vor erleben Menschen in unserer Nähe großes Leid und benötigen weiterhin jede Unterstützung, die sie bekommen können.

Eine Organisation, die sich diese Unterstützung auf die Fahnen geschrieben hat, ist die Gießener Hilfsorganisation Global Aid Network (GAiN). Diese hat soeben mit der Hilfe wichtiger Partner den sechsten Hilfskonvoi in das Kriegsgebiet gebracht. Projektleiter der GAiN-Ukraine-Hilfe ist Nils Pettkus, der alle bisherigen sechs Konvois begleitet hat und insgesamt schon 13-mal seit Kriegsbeginn in der Ukraine vor Ort war - das erste Mal war damals keine zwei Wochen nach Kriegsbeginn.

Viele Menschen können sich gar nicht vorstellen, welche Organisation und Logistik hinter solch einer Hilfsaktion stecken. »Sehr wichtig ist es, immer im direkten Gespräch mit unseren Partnern vor Ort zu stehen«, erklärt Pettkus. Denn diese stehen im direkten Kontakt zu den Bedürftigen und verteilen die Hilfspakete aus Deutschland. Sie haben hautnahe Infos über die aktuelle Situation und darüber, was am dringendsten benötigt wird.

Daher fährt Pettkus in der Ukraine dann auch nicht in einem der Lastwagen mit, sondern in einem Pkw, da dies den Kontakt mit den ebenfalls ehrenamtlich arbeitenden Partnern in der Ukraine erleichtert.

Immer mit dem Notfall rechnen

Und es sorgt für Flexibilität auch im Notfall, denn mit diesem muss man immer rechnen. »Wir halten uns immer an ganz klare Sicherheitsmaßnahmen: So parken wir den Wagen zum Beispiel immer mit der Nase nach vorne und nie an der Wand, damit wir im Notfall so schnell wie möglich weg können. Wir haben auch immer unsere Runbags dabei, in denen das Nötigste drin ist, falls wir alles andere zurücklassen müssen«, erläutert der Projektleiter die Umstände, die sich Menschen außerhalb eines Kriegsgebiets kaum vorstellen können. »Und wenn in Kiew in der Nacht 450 Drohnen runtergehen, dann schläft man schon anders als in Gießen«, berichtet Pettkus, wie Angst und Grauen permanenter Begleiter der Menschen in der Ukraine sind. Und das seit mehr als drei Jahren.

So eine Situation hinterlässt natürlich ihre Spuren. Beispielsweise auch bei den polnischen Nachbarn, mit denen Nils Pettkus regelmäßig zu tun hat. »Als der Krieg vor drei Jahren anfing, war Polen extrem gut auf ukrainische Flüchtlinge und Hilfeleistungen vorbereitet; die waren uns drei bis vier Schritte voraus. Zuletzt hatte ich aber das Gefühl, dass dort die Stimmung langsam kippt und die Leute ungeduldig werden«, beschreibt der Gießener, wie die Situation auch an den Nerven der polnischen Nachbarn zerrt.

Angespannt und deprimiert

Von den Menschen in der Ukraine natürlich ganz zu schweigen. Als Donald Trump in seinem Wahlkampf vollmundig verkündet hatte, dass er den Ukraine-Krieg rasch beenden werde, hatte das für Hoffnung im kriegsgeplagten Land gesorgt. Dass dies nun an Gegenleistungen in Form von Rohstoffkompensationen geknüpft sein soll, hat dem ukrainischen Volk einen herben Dämpfer versetzt. »Die Stimmung ist angespannt und deprimiert. Und deutlich weniger hoffnungsvoll als bei unseren letzten Besuchen«, schildert Pettkus seine frischesten Eindrücke. Aber ganz ist die Hoffnung nicht verschwunden. »Man hört aber auch immer noch Sätze wie ›Wir halten zusammen‹ und ›Wir gehen bis zum Ende‹«, so seine Eindrücke aus den Gesprächen mit den Menschen vor Ort. Und mit diesen steht er auch aus persönlichen Gründen stets eng im Gespräch, denn die Familie seiner Frau lebt in Kiew und ist dem Kriegsgeschehen hautnah ausgesetzt.

Hilfe ist in der Ukraine also auch noch drei Jahren genau so dringend benötigt wie am Anfang des Krieges - wenn nicht sogar noch mehr. »Viele Leute freuen sich und sagen, dass sie es ohne solche Unterstützung nicht schaffen würden. Aber einige sagen auch, dass die Hilfe zwar gut ist, aber dass sie eigentlich noch mehr benötigen«, schildert der Projektleiter.

100 Tonnen Hilfsgüter

Dieses Mal konnte der GAiN-Konvoi mit fünf Lkw immerhin 100 Tonnen Hilfsgüter wie Matratzen, Lebensmittelpakete, Hygienepakete, Waschpulver sowie einen See-Container, der vor Ort blieb, um durch Dämmung in eine Unterkunft umgewandelt zu werden, an drei verschiedene Bestimmungsorte in die Ukraine liefern. Neben drei GAiN-Lkw waren diesmal auch je ein Lastwagen von der Spedition Kircher sowie einer der Firma Steinbach auf eigene Kosten dabei, die die GAiN-Güter auslieferten, dabei aber aus eigener Tasche bezahlten und nicht über GAiN-Spenden finanziert werden mussten - eine wertvolle Unterstützung, durch die solch regelmäßige Hilfe überhaupt erst möglich ist.

Der Zeitpunkt für diesen Hilfskonvoi ist übrigens nicht zufällig ausgewählt worden. Die wörtliche ukrainische Übersetzung des Monats Februar bedeutet nämlich so viel wie »schlimm, hart, schrecklich«. Denn der Februar ist zwar nicht der dunkelste, in der Ukraine aber der kälteste Monat des Jahres. So lag auch nun während des einwöchigen Besuchs des GAiN-Konvois ein halber Meter Schnee bei minus 15 Grad. Der zweite GAiN-Jahreskonvoi ist wieder für August/September geplant, damit sich die Menschen auf den Winter einstellen und diesen überstehen können.

»Schmerz der anderen von der Seele reden«

Auch den deutschen Helfern geht die Situation nah: »Wenn man wieder nach Hause kommt, ist man nicht wirklich entspannt«, sagt Pettkus. »Ich brauche immer einige Tage, um wieder runterzukommen. Und ich nutze die Gelegenheit, mir im Gespräch mit ausgebildeten Reflektoren den Schmerz der anderen Menschen von der Seele zu reden. Das tut gut und ist notwendig.« Genau so notwendig wie die Hilfsprojekte auch nach drei Jahren noch.

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