30. März 2023, 13:00 Uhr

Gießen

Auch mit 84 Jahren weiter im Kampf für Inklusion

Sie wird liebevoll und anerkennend als »Grande Dame« der Lebenshilfe bezeichnet: Maren Müller-Erichsen ist mittlerweile 84 Jahre alt und amtierende Aufsichtsratsvorsitzende.
30. März 2023, 13:00 Uhr
Die Buchautorin und Volker Bouffier neben einem Foto von Maren Müller-Erichsens Sohn Olaf, der 2021 an den Folgen einer Corona-Infektion starb. Foto: Lebenshilfe

Maren Müller-Erichsen war langjährige stellvertretende Bundesvorsitzende der Lebenshilfe und auch hessische Landesbeauftragte der Menschen mit Behinderung. Jetzt hat sie eine Autobiografie veröffentlicht - über ihren Kampf als Mutter eines behinderten Kindes. Zahlreiche Weggefährten, Mitstreiter, Freunde und Vertreter aus Politik und Sozialwesen waren zur offiziellen Vorstellung ihres Buches »Geliebte Kinder« in die Sophie-Scholl-Schule nach Gießen gekommen. Der Ort war symbolträchtig gewählt: Denn die Einrichtung war im Jahr 1998 als innovative und später auch als national ausgezeichnete Schule ganz wesentlich auf die Initiative Müller-Erichsens an den Start gegangen.

Zeitlebens alte Strukturen bekämpft

Das Buch skizziert eine Frau, die in ihrem Leben auf zahlreiche Barrieren traf, sich aber niemals mit althergebrachten Strukturen zufriedengab, sondern diese bekämpfte, oftmals überwand und somit in vielen Belangen zu einer Pionierin und Vorkämpferin der Inklusion in Deutschland avancierte. Und dies bereits zu Zeiten, Mitte der 1970er-Jahre, als Inklusion für viele Menschen noch ein Fremdwort war und die Belange von Menschen mit Behinderung in breiten Gesellschaftsschichten auf Gleichgültigkeit oder sogar Ablehnung stießen.

»Seit rund 40 Jahren bist du Stimme und Gesicht der Lebenshilfe«, betonte Hessens früherer Ministerpräsident und langjähriger Wegbegleiter Volker Bouffier in einem Grußwort. Er hob die Ausdauer und den Willen Müller-Erichsens hervor, die einst vom Niederrhein als landwirtschaftlich-technische Assistentin am Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung der Universität Gießen nach Mittelhessen gekommen war, ehe sie sich voll-ends dem Kampf für Inklusion und Teilhabe verschrieb.

Als Müller-Erichsens Sohn Olaf 1975 mit Down-Syndrom geboren wurde, sei Inklusion noch kein Thema gewesen. Das habe sich mittlerweile - dank Personen wie Maren Müller-Erichsen - geändert, so Bouffier. Ebenfalls hob er ihre internationale Arbeit hervor und insbesondere in Israel, wo zahlreiche Inklusionsprojekte angestoßen werden konnten, ferner ihren tiefen Glauben, der die Autorin in ihrem Werk auch schreiben lässt: »Ich habe Olaf nicht als Unglück empfunden, sondern als Geschenk Gottes.« Ihr Sohn verstarb 2021 an den Folgen einer Corona-Infektion.

Buch orientiert sich an Sohn Olaf

Wertschätzung bekundeten auch Winfried Kron, Referatsleiter im hessischen Ministerium für Soziales und Integration, sowie Dirk Oßwald, Vorstand der Lebenshilfe Gießen. Kron ist in dem Buch vertreten mit einem mehrseitigen Essay mit dem Titel »Hommage an eine Frau, die ihr Leben gänzlich für Menschen mit Behinderung einsetzt - Pionierin, Mitstreiterin und Vorbild«. Dirk Oßwald berichtete von dem bis heute anhaltenden Engagement Müller-Erichsens in der Lebenshilfe Gießen, bei der sie nach wie vor im dichten und wertvollen Austausch mit dem Geschäftsführungsteam steht.

Das fast 250 Seiten umfassende Buch orientiert sich inhaltlich in erster Linie an dem Lebensweg von Olaf Müller-Erichsen und den damit verbundenen Herausforderungen, Barrieren, Kämpfen und Erfolgen. Angefangen bei seiner Geburt, die der damalige Arzt aufgrund des Down-Syndroms des Babys mit den menschenverachtenden Worten kommentierte: »Sie haben einen Idioten geboren.«

Mit viel Offenheit und plastischen Erinnerungen berichtete Maren Müller-Erichsen über die widrigen Anfangszeiten nach der Geburt ihres zweiten Kindes: vom Umgang mit dem Unverständnis von Mitmenschen, von der Suche nach einem Kita-Platz sowie über ihren Mut und ihre Kraftquellen in diesen Jahren, wie dem harmonischen Geschwister-Zusammenleben ihrer beiden Söhne, worüber sich freilich auch im Buch nachlesen lässt.

Gleiche Rechte für alle

»Mir ist wichtig, dass Menschen mit Behinderung die gleichen Rechte haben, wie Menschen ohne Behinderung«, so die Buchautorin. »Vieles ist in meinen Augen noch nicht in die richtige Richtung gelaufen. Menschen mit Behinderung müssen Möglichkeiten haben, sich selbst zu vertreten und ihre Wünsche vorzutragen. Wichtig ist, dass Menschen mit Behinderung als Menschen in unserer Gesellschaft so akzeptiert werden, wie sie das wollen«, appellierte Müller-Erichsen. Ihr Buch »Geliebte Kinder« ist im Adeo-Verlag erschienen und im Buchhandel erhältlich.

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