27. Dezember 2018, 11:57 Uhr

Sommermärchen 2.0

Sommermärchen 2.0 für Bad Nauheimer Jake Hirst

Welcher kleine Junge träumt nicht davon, einmal Fußballprofi zu werden? Für den Bad Nauheimer Jake Hirst ist dieser Traum in Erfüllung gegangen. Ein Wetterauer Sommermärchen.
27. Dezember 2018, 11:57 Uhr
Philipp_Keßler
Von Philipp Keßler
Das Sturmduo des Sommers bei den Offenbacher Kickers: Der Bad Nauheimer Jake Hirst (l.) und der scheidende Routinier Florian Treske. (Foto: Hübner)

Es war Ende August, als die treuen Fans des tief gefallenen Traditionsclubs Offenbacher Kickers einen neuen Helden hatten: »Jake Hirst’s on fire« sangen sie immer wieder in Anlehnung an das Stimmungslied, das den nordirischen Fußballstar Will Grigg seit der EM 2016 international bekannt gemacht hat. Sieben Tore in seinen ersten sieben Regionalligaspielen machte den Bad Nauheimer mit englischem Pass innerhalb weniger Wochen zu einem Star der vierten deutschen Spielklasse. Zeitungen, Fernsehsender, Radiomoderatoren versuchten an den 22-Jährigen heranzukommen und das Phänomen »Jake Hirst« zu erklären. 

Der 1,94 Meter große Schlacks war im vergangenen Sommer mit 51 Toren in 28 Spielen von der »Wetterauer Zeitung« als bester Torjäger der Saison ausgezeichnet worden, sein Türkischer SV Bad Nauheim hatte im Jahr eins nach einem bitteren Abstieg als Kreisoberliga-Meister den direkten Wiederaufstieg in die Gruppenliga Frankfurt-West gefeiert. Doch damit hatte sein ganz persönliches Sommermärchen erst begonnen.

 

Gastspiel am Main

Es folgte ein Tag im Juni, als Hirst einen Anruf von Daniel Steuernagel, dem neuen Trainer von Kickers Offenbach bekam, ob er nicht einmal eine Woche mittrainieren möchte, um zu sehen, wohin das führt. Steffen Menze, Hirsts damaliger Berater, Ex-Kickers-Coach und ein Bekannter Steuernagels, hatte das Gastspiel am Main eingefädelt – und Hirst blieb. Er überzeugte im Training, schoss in einem seiner ersten Testspiele gleich drei Tore gegen Verbandsligist SV 1960 Hanau und wurde schließlich bis zum Ende der Saison unter Vertrag genommen.

Zugute kam dem schnellen Stürmer in der Folge wahrscheinlich auch die Tatsache, dass der Saisonauftakt in Offenbach mit zwei Punkten aus vier Spielen alles andere als erfreulich lief. Hirst bekam am 10. August, einem Freitagabend, die Chance: Er wurde eingewechselt, markierte wenig später das 1:2 gegen den SSV Ulm per Heber – und steht seitdem meist in der Startelf. 

Es folgten weitere Spiele, weitere Tore – und der Aufschwung des OFC unter seinem jungen Trainer wurde auch mit dem Namen Jake Hirst verbunden, was die Fans in ihrer eingangs erwähnten Huldigung offenbar ebenfalls so empfanden. Das alles gipfelte in der Aussage Steuernagels, Hirst sei die »Lebensversicherung« des Vereins. Da hatte der junge Mann aus der Kurstadt gerade sein Team mit einem Kopfballtor in der Verlängerung des Hessenpokal-Viertelfinalspiels gegen den FC Bayern Alzenau eine Runde weitergebracht. Übrigens eins von zwei Toren im Pokal, die ebenfalls auf das Konto des Engländers gehen. 

Es war die richtige Entscheidung, es in Offenbach zu versuchen

Jake Hirst

»Es war die richtige Entscheidung, es in Offenbach zu versuchen. Ich habe mich super eingelebt, hatte im vergangenen halben Jahr einen Haufen Spaß und eine schöne Einsicht in den Profifußball. Es hat alles super geklappt«, sagt Hirst heute. Dabei war sein Plan eigentlich ein anderer. Der Sohn zweier tennisverrückter Eltern hatte das Talent für viele Ballsportarten. Es blieben Tennis und Fußball. Fußballerisch groß geworden beim SV Schwalheim und der Spvgg. 08 Bad Nauheim ging es für ihn zur Jugend des FSV Frankfurt, zu Eintracht Frankfurt und zur TSG Wieseck – drei große Namen für Nachwuchsfußballer in der Region. Doch die Wachstumsstörung Osgood-Schlatter bremste ihn aus: Die Reizung am Ansatz der Patellasehne im Übergang zum Schienbein wurde so schlimm, dass Hirst schließlich aussteigen musste.

Er machte ein halbes Jahr nichts in Sachen Fußball, gab später bei der TSG Ober-Wöllstadt sein Seniorendebüt in der Friedberger Kreisoberliga und wechselte anschließend zum Türkischen SV Bad Nauheim, wo er trotz zehn Toren in elf Spielen den Abstieg aus der Gruppenliga nicht verhindern konnte. Es folgte die Meistersaison – und eine Torgala Hirsts nach der anderen. Diese bildeten die Grundlage für seinen jetzigen Erfolg. Denn Coach Steuernagel hatte bei seiner Verpflichtung gesagt: »Ich hatte ihn schon länger auf dem Radar.«

 

In der Kreisoberliga fit gehalten

Dabei hatte sich Hirst eigentlich bereits damit abgefunden, nie den Sprung in den Profifußball zu schaffen, wollte stattdessen in der Bad Nauheimer Tennisschule seines Vaters weiter als Trainer arbeiten und nebenher für den Hessenligisten aus Steinbach auf den Centercourts des Landes aufschlagen. Doch dann kam der Anruf aus Offenbach. Der Rest bis heute ist Geschichte. »Gott sei Dank verlernt man es nicht, auf einem gewissen Niveau zu spielen. Ich habe mich auch in der Kreisoberliga immer fit gehalten, in Offenbach hat mich die Mannschaft gut aufgenommen und ich hatte das Vertrauen der Trainer. Das alles waren kleine Bausteine für das heutige Ergebnis«, erklärt Hirst seinen Erfolg. 

Das Einzige, was Hirst jetzt noch fehlt, ist ein Vertrag für die kommende Saison. Inzwischen hat das Nachwuchstalent den Berater gewechselt, nachdem bereits angedachte Verhandlungen mit dem verlängerungswilligen OFC vor ein paar Monaten noch gescheitert waren. Nun soll es in der Winterpause weitergehen. Dabei hat Hirst stets betont, dass ihn derlei Fragen nur wenig kümmern. »Ich mache mir keinen Stress, setze mir keine Ziele nach dem Motto, dass ich mal da und dort spielen will. Ich möchte wie am Anfang versuchen, jeden Tag mein Bestes zu geben, professionell zu arbeiten und dann werden wir sehen, wo mich das hinführt«, sagt er. 

 

Maximaler Erfolg im Visier

 Angesichts der Tatsache, dass Offenbachs Routinier im Sturm, Florian Treske, aufgrund seiner langen Verletzungsgeschichte zum Ende dieses Jahres seine Profikarriere beendet, dürfte der mit acht Toren aktuell Sechstplatzierte der Regionalliga-Torschützenliste noch wichtiger für den weiter mit Aufstiegsambitionen ausgestatteten OFC werden. »Ich hätte gerne mit Flo weitergearbeitet, aber ich respektiere natürlich seine Entscheidung. Wenn ein Ersatz für ihn kommt, müssen wir gemeinsam sehen, dass wir gut zusammenarbeiten. Wer dann wie spielt, wird sich zeigen. Der Trainer entscheidet«, sagt Hirst. »Wir als Spieler wollen immer den maximalen Erfolg und versuchen, Woche für Woche drei Punkte zu holen.« Wenn er das sagt, kann aber auch er nicht verbergen, dass er mit dem OFC eigentlich in Liga 3 will – wie so viele im Umfeld des Klubs: »Wenn man mal ehrlich ist: Dieser Verein gehört auch dorthin.« 

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