Es ist ein unwirkliches Szenario Ende November im 700-Einwohner-Dorf Gonterskirchen bei Laubach: Nebel steigt aus den Wäldern auf und es nieselt. Rotes Absperrband flattert im kühlen Wind, es riecht nach verbranntem Kunststoff. Polizisten bewachen das Mehrfamilienhaus in der Straße »Am Heiligenstock«, während die Spurensicherung und Brandermittler im und um das Gebäude wimmeln.
Wenige Stunden müssen sich in dem Haus erschreckende Szenen abgespielt haben. Am Ende stirbt ein 57-Jähriger aus Bruchköbel, seine Lebensgefährtin wird verletzt ins Krankenhaus gebracht und die Feuerwehr muss ihr brennendes Haus löschen. Drogengeschäfte könnten Grund für das tödliche Überfalls gewesen sein, vermutet die Polizei.
Verkohlte Leiche gefunden
Am Abend des 28. Novembers trifft ein Paar vor einem Wohnhaus in einem Laubacher Ortsteil auf sechs vermummter Männer. Die Gruppe zwingt sie ins Haus, durchsucht die Wohnung und traktieren den 57-Jährigen und seine 59-jährige Partnerin mit Schlägen. Knapp vier Stunden später, gegen 1 Uhr in der Nacht setzten die das Haus in Brand und verschwinden. Nachbarn hören die Schreie der Frau, befreien sie durch ein ebenerdiges Fenster und alarmieren Feuerwehr und Polizei. Die verkohlte Leiche ihres Partners fanden Feuerwehrleute später tot im Schlafzimmer des Hauses. Was war geschehen?
Wie die Obduktion ergab, starb der Mann bereits vor dem Brand. »Multiple Gewalteinwirkung« nannte es die Staatsanwaltschaft Gießen. Sowohl die Art dieser Gewalt – ob Schläge, Tritte oder anderes – als auch die Auffindesituation wollte Staatsanwalt Thomas Hauburger aus ermittlungstaktischen Gründen nicht kommentieren.
Opfer waren wenig bekannt im Ort
Die Ergebnisse der Brandermittler – in welchen Räumen der Brand entzündet wurde, ob Brandbeschleuniger verwendet wurde – werden ebenfalls noch unter Verschluss gehalten. Die Feuerwehrleute wurden nach dem Einsatz von Notfallseelsorgern betreut. »Das kann man sich alles so hier in Gonterskirchen nicht vorstellen«, sagte der örtliche Wehrführer, Norman Rohn.
Das Paar aus Bruchköbel war in Gonterskirchen kaum bekannt. Sie hätten sich nur sporadisch in dem Anwesen aufgehalten, erzählen Nachbarn. Das Haus habe der Vater des Opfers in den 1990er Jahren gebaut, es sei dann vermietet gewesen, zuletzt aber habe es leer gestanden. Der Mann, ein Deutscher, und seine spanische Partnerin hätten sich in den letzten Jahren um das Haus gekümmert, im Sommer den Rasen gemäht und sich selbst immer wieder kurzzeitig in der Einliegerwohnung aufgehalten.
Verstrickung in den Betäubungsmittelhandel könnte auch Hintergrund des Überfalls gewesen sein
Polizeisprecher
Bereits am Mittwoch nach der Tat nimmt die Polizei in Friedrichsdorf bei Bad Homburg zwei Männer – 30 und 37 Jahre alt – unter dringendem Mordverdacht fest. Die beiden Cousins sitzen in Untersuchungshaft. Zu den Vorwürfen schweigen sie bislang. Mit dem Toten sollen sie nach Erkenntnissen der Polizei umfangreiche Drogengeschäfte abgewickelt haben. »Die Verstrickung in den Betäubungsmittelhandel könnte auch Hintergrund des Überfalls gewesen sein«, erklärt die Polizei. Deswegen gehen die Ermittler von einer gezielten Tat in dem sonst so beschaulichen Ort aus.
Spekulationen über Drogenhandel
Der tödliche Überfall habe unter den Dorfbewohnern keine Angst ausgelöst, sagte Moni Hackl der Gießener Allgemeinen kurz nach der Tat. Sie führt einen Friseurbetrieb im Ort. »Das waren ja keine normalen Einbrecher, vor denen wir uns Sorgen machen müssten«, sagt sie. »Das war wohl ein gezielter Überfall im Milieu.« Nur wenige hätten das Opfer gekannt. Gemunkelt habe man schon lange über dubiose Geschäfte in dem fraglichen Haus: Hin und wieder hätten protzige Autos vor dem Haus gestanden. Einmal habe es eine Razzia gegeben. Das Opfer des tödlichen Überfalls habe schon mal im Gefängnis gesessen.
Zu derartigen Spekulationen wollte sich Hauburger zunächst nicht äußern – auch nicht zum Gesundheitszustand der Frau oder zu Drogendeals, in die das Opfer verwickelt gewesen sein soll. »Aus Gründen des Opferschutzes und aus ermittlungstaktischen Erwägungen.« Die anderen mutmaßlichen Täter sind flüchtig. »Wir fahnden nach noch mindestens vier Verdächtigen«, sagte er eine Woche nach der Tat. Die Kriminalpolizei setzte eine 20-köpfige Sonderkommission ein.
Info
Nicht der erste Mord im Ort
Der Straßenname »Heiligenstock« verheißt eigentlich eine friedliche Idylle. Doch bereits 2008 hatte sich in derselben Straße im Laubacher Ortsteil Gonterskirchen ein Tötungsdelikt ereignet: Nur ein Haus neben dem Tatort hatte ein Mann, der erst einige Jahre zuvor nach Gonterskirchen gezogen war, eine Prostituierte umgebracht. Er wurde wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.