05. Juni 2018, 15:08 Uhr

OK KID

Ein Liebesbeweis für Gießen

OK Kid stehen für das Potenzial der Gießener Kulturszene, das bislang zumeist im Verborgenen zu verharren schien. Im Juni nehmen die drei Jungs die Sache selbst in die Hand: Sie schenken ihrer Heimat, der »Stadt ohne Meer«, mit dem gleichnamigen Festival das Highlight des Sommers.
05. Juni 2018, 15:08 Uhr
Philipp_Keßler
Von Philipp Keßler
(Foto: Drop Images)

Gießen wird immer größer, Gießen wird immer jünger, Gießen wird immer hipper. Trotzdem gibt es noch Premieren. So wie die des vermutlich größten Open-Air-Festivals der Stadt. Das steigt am 9. Juni im Schiffenberger Tal – auf dem Gelände der EM- und WM-Arena. Auf die Beine gestellt wird dieses Ereignis von der Gießener Band OK Kid, die einst ihren Weg zu nationalem und internationalem Ruhm und Ehre in ihrer »Stadt ohne Meer« begonnen hat. Und genau so soll das Festival auch heißen. Es ist die Hommage an die Hommage, denn die Band hat bereits vor einigen Jahren einen gleichnamigen Song aufgenommen. Auf den folgenden Seiten präsentiert der Streifzug die Band und ihre Idee, die Gäste und alles Wissenswerte rund um das Highlight zum Sommerbeginn. Da darf natürlich auch das große Interview mit den Bandmitgliedern Jonas Schubert, Raffael »Raffi« Kühle und Moritz »Mo« Rech nicht fehlen. Bitteschön!

»Stadt ohne Meer« ist einer der bekanntesten Songs von euch. Warum heißt Euer Festival genau so?

Jonas: Es ist einfach zu 100 Prozent ein Statement für unsere Heimat. Der Song ist ja schon recht alt. Den haben wir damals einfach geschrieben, ohne uns groß Gedanken darüber zu machen, was er bewirken könnte. Nun ist es aber so, dass sich »Stadt ohne Meer« zu einem Synonym für Gießen entwickelt hat. Das ehrt uns krass. Denn das war ja damals keine Lobhudelei auf unsere Heimatstadt, sondern eine aufrichtige und ehrliche Auseinandersetzung mit ihr. Mit der haben sich aber offenbar viele Leute von hier identifiziert. Von daher wäre gar kein anderer Name für so ein Festival möglich gewesen, wenn man es in Gießen macht. Hier wollten wir es unbedingt machen – aus sehr vielen Gründen. Deshalb hat der Name perfekt gepasst.

Was sind die Gründe, so ein Festival in Gießen zu veranstalten?

Raffi: Gießen ist einfach unsere Heimatstadt. Klar, wir wohnen inzwischen in Köln, aber Gießen ist und bleibt unsere Heimat. Das ist eine Mischung aus Pragmatismus und Idealismus. Den Wunsch und die Idee, hier ein eigenes Festival zu haben, den gab es schon immer. Das hat sich dann damit gepaart, dass wir gesagt haben, wenn wir auf Tour gehen, wollen wir auch in Gießen spielen. Das macht aber keine Location mehr möglich, denn auch das MuK, das mal unser Wohnzimmer war, ist inzwischen dafür zu klein geworden. Und wenn wir schon einen Rahmen auf die Beine stellen, um hier live spielen zu können, dann können wir auch gleich ein Festival draus machen. Das war der Grundgedanke. Dann kommt noch dazu, dass wir uns das als Jugendliche immer gewünscht haben, denn krasse Bands kamen damals nie nach Gießen. Gerade in dem Jugendkulturbereich ist Gießen extrem schwach und deshalb wollten wir etwas dagegen unternehmen.

Moritz: Für uns schließt sich ja auch ein bisschen der Kreis, denn als wir im Jahr 2006 mit Jona:S angefangen haben, waren unsere ersten Auftritte in Gießen. Das war immer die Heimatstadt der Band, nicht nur für uns als Bandmitglieder – zumal ich ja auch aus Marburg komme. Gießen war immer eine wichtige Basis für die Band. Deshalb wäre gar keine andere Stadt infrage gekommen.

Jonas: Außerdem gibt es hier so viele Studenten und alle, mit denen wir uns darüber unterhalten haben, fanden die Idee sofort richtig geil und haben gesagt, dass es Gießen so guttun würde.

Wie kam es überhaupt dazu, dass Gießen eigentlich zu klein für euch als Band geworden ist?

Jonas: Ach, so groß sind wir nicht. Es hat mit dem ersten Album einfach angefangen, dass man im deutschsprachigen Raum wahrgenommen wurde. Das war 2013 und für uns eine krasse Entwicklung, wenn man zum ersten Mal eine ausverkaufte Tour hatte und da Städte wie Wien dabei waren. Wir waren nie eine Band, die viel im Radio lief oder verrückte Youtube-One-Hit-Wonder hatte, sondern das ist alles organisch über die letzten Jahre gewachsen. Vielleicht haben wir jetzt für uns den Status erreicht, dass wir die Möglichkeit haben, den Leuten in Gießen mit diesem Festival etwas zurückzugeben.

Raffi: Wir fühlen uns nicht unbedingt verpflichtet dazu, aber wir wissen einfach, wie es ist hier aufzuwachsen und in einem bestimmten Alter mit einem bestimmten Musikinteresse zu sein. Deshalb war uns das Festival in Gießen schon ein Bedürfnis.
 
Wie ist der Unterschied für euch, ein Festival als Zuschauer, als Band oder gar als Organisator zu erleben?

Jonas: Wir haben inzwischen wirklich eine Kompetenz als Festival-Band erworben, denn wir haben alleine 2013 zwischen 35 und 40 Festivals gespielt. Da hat man ganz viele Sachen gesehen, die geil sind, aber eben auch viele, die man gar nicht haben möchte. Wir sind auch früher immer als Zuschauer auf Festivals gewesen und haben inzwischen, glauben wir, ein ganz gutes Händchen dafür entwickelt, was gut ankommt und was nicht. Wir wissen einfach, wie Künstler ein Festival mögen und wie man ein Festival sympathisch macht, sodass alle sich wohlfühlen. Das fängt bei der Security an und hört beim Catering für die Bands auf. Trotzdem fallen jetzt so viele Sachen an, die wir zum ersten Mal machen. Da ist es eine Herausforderung, auch weil wir ja selbst noch spielen und dafür noch proben müssen. Denn zum ersten Mal seit drei oder vier Jahren haben wir seit einem Dreivierteljahr keine Live-Show mehr gespielt. Das wird also aufregend.

Im April und Mai wart ihr neben der Organisation auch noch am Schreiben neuer Songs. Was kann man mit Blick auf das Festival da erwarten?

Moritz: Es wird definitiv einige Weltpremieren geben.

Was war euch bei der Organisation des Festivals besonders wichtig?

Raffi: Uns war vom ersten Tag an die Besucherperspektive sehr wichtig. Wir wollten nicht alles auf Kommerz ausrichten und alles mit Werbung volldrücken. Ich denke, allein unser Line-up zeigt schon, dass es uns darum einfach nicht geht. Es geht vielmehr darum, dem Besucher einen möglichst geilen Festivaltag zu bescheren. Das soll man vom ersten Moment an spüren. Dabei geht es etwa um das Optische, was die Jungs von »Fest.Land« übernommen haben. Es geht nicht einfach um Bühne, Sound, Feierabend. Das Festival soll in allen Belangen eigenen Charakter haben.

Jonas: Deshalb gibt es auch parallel zu den Bands ein eigenes Programm, etwa mit Workshops und einem Tischtennisturnier – also auch mit Dingen, die nicht direkt etwas mit Musik zu tun haben. Man soll sich auf dem Gelände einfach wohlfühlen und einen geilen Sommertag haben. Deshalb steht das Kommerzielle auch nicht im Vordergrund, denn die Arbeitszeit, die wir da reinstecken, kann man ohnehin nicht aufwiegen. Wir kreieren ein Festival, so wie wir es gerne hätten und von dem wir glauben, dass die Menschen es auch mögen.

Wie viel Arbeit steckt ihr in das Festival?

Jonas: Naja, unser Auto auf der Fahrt von Brandenburg zu diesem Interview war mehr ein Co-Working-Space (lacht).

Moritz: Wir haben schon ein Team zusammengestellt, mit dem wir das alles realisieren. Unser langjähriger Freund Rene Schott und unser Booker Tim Böning unterstützen uns. Da wir aber eine Band sind, die bei so etwas in jede Pore Einfluss haben will und die den eigenen Ansprüchen genügen will, bleibt die Arbeit nicht aus. Wir machen deshalb sehr viel selbst, was sehr krass ist, da wir parallel noch Songs schreiben und im Probenraum sind. Das ist das arbeitsintensivste Jahr unserer Bandgeschichte. Aber es ist schöne Arbeit, denn man gestaltet etwas für die Leute hier in Gießen.

Raffi: Wir versuchen, den Tag zu strukturieren, dass wir die eine Hälfte nur Festivalkram machen und die andere nur Musik. Denn die wollen wir ja auch machen.

Jonas: Wir hätten es uns ja leicht machen können, indem wir uns einen großen Veranstalter gesucht hätten, der alles organisiert hätte. Dann hätten wir nur mal kurz gewunken und vielleicht noch die Bands ausgesucht, aber wir wollten wirklich in jeder Pore unsere Nase drin haben.

Wie habt ihr es da geschafft, so ein prominentes Line-up zusammenzubekommen?

Jonas: Wir haben gar nicht erst versucht, Kalt-Akquise zu machen. Das hätte nicht funktioniert. Wir waren darauf angewiesen, dass die Bands über das freundschaftliche Verhältnis kommen. Es ist unser Wunsch-Line-up. Für das erste Jahr sind wir voll auf Qualität gegangen und haben mit viel Geschmack ausgewählt. Uns war auch wichtig, den Gießenern etwas Neues zu zeigen, denn fast keiner der Acts ist vorher schon mal hier aufgetreten. Für Mittelhessen ist das einmalig. Es wird zwölf Acts an einem Tag geben – über zehn Stunden Musik.

Seid ihr mit dem Schiffenberger Tal als Location zufrieden?

Raffi: Ja, sehr. Wir haben uns verschiedene Flächen angeschaut, aber das Schiffenberger Tal passt am besten.

Jonas: Es nimmt auch einen Punkt weg, der uns zusätzliche Schweißausbrüche hätte bereiten können: Wir greifen auf die vorhandene Infrastruktur zurück. Trotzdem können wir das Areal noch selbst gestalten.

Wie sieht es bei all der Arbeit eigentlich mit dem Privatleben aus?

Moritz: Ach, ganz gut. Es ist zwar arbeitsintensiv, aber auch eine sehr schöne Zeit. Denn wir haben einfach Bock darauf, das zu machen – Gastgeber zu sein und die Menschen zu uns einzuladen.

Jonas: Deshalb haben wir uns auch im Sommer extra nicht viel vorgenommen. Außer dem »Stadt-ohne-Meer«-Festival spielen wir noch zwei größere Shows und dann geht es erst im Herbst wieder richtig los. Da haben wir dann aber auch die größte Tour, die wir jemals spielen. Und im Optimalfall soll dann ja auch noch ein neues Album kommen.

Gute Überleitung. Wie sieht es damit aus?

Raffi: Da steht noch gar nichts fest, wir wollen erst einmal produktiv sein, neue Songs schreiben und dann sehen wir weiter. Ich kann aber so viel verraten: Die Zeit in Brandenburg im April war sehr gut.

Wie ist es, wenn man zu dritt so viel Zeit miteinander verbringt?

Raffi: Das war bei uns irgendwie noch nie ein Problem. Natürlich nervt man sich auch mal an, aber es gibt keinen mega Krach. Wir können immer relativ lange aufeinanderhocken, ohne dass es scheiße ist.

Moritz: Das ist ja auch gelernt, auch wenn es jetzt vielleicht noch einmal eine Ecke intensiver ist. Denn wir hängen ja letztlich schon seit zehn Jahren aufeinander rum. Deshalb muss das System funktionieren. Das ist aber schon auch besonders.

Jonas: Wir haben wirklich jahrelang mehr aufeinandergehockt als mit jedem anderen Menschen in unserem Leben – egal ob Freunde, Familie oder Partnerin. Es gibt keine Person, mit der man mehr Zeit verbracht hat, als mit den anderen zwei Dritteln von einem selbst.

Im April war der Echo-Skandal um Farid Bang und Kollegah, die ja auch aus der Hip-Hop-Szene kommen, ein großes Thema. Wie verhaltet ihr euch dazu?

Jonas: Durch unsere Songs wie »Gute Menschen« und »Warten auf einen starken Mann« kennt man unsere Haltung. Wir haben uns absichtlich gegen Homophobie und Fremdenfeindlichkeit ausgesprochen. Wir sind keine politische Band, aber wenn uns etwas auffällt, wollen wir dazu auch Stellung beziehen. Unsere Musik und die Texte sind ganz nah dran an dem was wir denken. Das sind einfach wir drei. Ich habe mich beim Echo auch die Jahre davor schon tierisch aufgeregt. Wir waren schon ein paarmal eingeladen, aber das hat uns nie gefallen. Alleine schon die Sache, dass die Leute, die am meisten verkaufen, noch einen Preis gewinnen. Die andere Sache ist, dass da Leute wie FreiWild oder Böhse Onkelz nominiert waren, die einfach ein bestimmtes Klientel ansprechen. Spätestens seitdem kann ich diesen Preis nicht mehr ernst nehmen. Mit Kollegah und Farid Bang wurde das jetzt noch einmal richtig aufgebauscht, und auf einmal schreien alle laut auf: »Geht gar nicht!« Natürlich geht das nicht, aber leider hört die Diskussion oft damit auf, anstatt wirklich mal zu schauen, wie tief Antisemitismus eigentlich in unserer Gesellschaft verwurzelt ist. Wenn in unseren Schulen »Jude« als Schimpfwort benutzt wird oder jüdische Mitbürger aufgrund ihrer Religion angegriffen werden, dann haben wir ein Problem. Und das ist nicht damit gelöst, sich über zwei Zeilen in einem Battlerap-Song aufzuregen.

Raffi: Das eigentlich Traurige daran ist, dass der Echo aufgrund der Auszeichnung von Verkaufspreisen die Zuhörerschaft abbildet. Wenn also Farid Bang und Kollegah gewinnen, was sagt das dann über die Gesellschaft aus? Das kam mir in der Debatte aber einfach zu kurz.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es in den nächsten Jahren ein weiteres Festival in der »Stadt ohne Meer« geben wird?

Moritz: Wir würden sehr gerne eine Festivaltradition in Gießen aufbauen. Das ist schon unser Wunsch.

Jonas: Wir wollen erst einmal die Premiere sauber über die Bühne bringen, bevor wir weitere Pläne schmieden. Es wird vermutlich nicht alles perfekt sein, aber ich bin mir sicher, dass es ein wunderschöner Tag wird.

Zum Schluss noch ein Wort zur After-Show-Party.

Raffi: Die After-Show-Party wird nur einen Steinwurf vom Festivalgelände entfernt bei unseren Freunden von »Frau Trude« stattfinden. Da wird es einige illustre Überraschungen geben, aber wir wollen noch nicht zu viel verraten. Die Tickets dafür gibt es in Kürze über unsere Online-Kanäle. Aber Achtung: Sie werden limitiert sein, von daher heißt es vor allem, schnell zu sein.

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