. »Geld ist nicht alles - aber ziemlich viel.« Mit diesem Satz rückte Mareice Kaiser im Rahmen einer Lesung des Jugendbildungswerks der Universitätsstadt Gießen die gesellschaftliche Bedeutung von Geld in den Fokus. Die Journalistin und Autorin stellte Auszüge aus ihrem Buch »Wie viel: Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht« vor und machte dabei an zwei exemplarischen Episoden deutlich, wie sehr finanzielle Verhältnisse unser Leben prägen.
Zu Beginn nahm die Buchautorin das Publikum mit in ihre eigene Kindheit: Diskussionen ums Budget, Streitereien über Ausgaben und das Empfinden, »nur etwas wert« zu sein, wenn genug Geld da ist. Diese prägenden Erfahrungen führten sie später in den Journalismus und legten den Grundstein für ein Buch, in dem sie Menschen unterschiedlichster Einkommensverhältnisse zu Wort kommen lässt. Im Laufe der Lesung durfte das Publikum mitentscheiden, welche Passagen vorgestellt wurden - zur Auswahl standen mehrere Kapitel, ausgewählt wurden schließlich zwei: die Geschichte eines 85-jährigen Pfandflaschensammlers und ein Gespräch zwischen Kaiser und ihrem Vater. Dass sich die Mehrheit gegen den Multi-Millionär entschied, überraschte sogar die Autorin: »Die meisten wollen sonst immer ihn hören - umso schöner.«
So berichtete die Journalistin von Erwin Husel, einem 85-jährigen Pfandflaschensammler aus Berlin. Auf seine monatliche Rente von 800 Euro entfallen bereits 400 Euro allein für die Miete, zusätzliche 100 Euro verdient er mit dem Sammeln von Pfandflaschen. Husel beschreibt seine Situation lakonisch: »Ich bin ein armer Teufel«, sagt er, und erklärt, dass er sich auf Wärmekissen und einen Fön verlässt, weil seine Heizung seit Langem defekt ist. Auf die Frage, wie viel Geld für ihn genug sei, antwortet er schlicht: »Was ich so habe.« Und wenn es ums Essen geht, lächelt er: »Da, wo es was umsonst gibt.« Seine Geschichte brachte das Publikum zum Nachdenken: In einem reichen Land, wo sich manche über Fußbodenheizungen freuen, frieren andere - eine Ungerechtigkeit, die Kaiser greifbar machte.
Im Anschluss rückte das Gespräch mit ihrem Vater ins Zentrum. Der 72-Jährige arbeitet noch immer als Lkw-Fahrer und verbindet Geld in erster Linie mit Sicherheit: Er betont, dass es »so viel sein muss, dass ich satt werde und meine Rechnungen bezahlen kann - dazu ein Dach über dem Kopf«. Arbeit ist für ihn mehr als Broterwerb; sie verleiht seinem Alltag Struktur. »Wer nicht arbeitet, ist ein Tagedieb«, erklärt er im Buch. Urlaub hingegen empfindet er als Luxus, den man sich erst leisten muss - oder will. In diesem Austausch wurde deutlich, wie stark die Erfahrungen unterschiedlicher Generationen das Verhältnis zu Geld prägen.
Wo der Vater Stabilität durch Erwerbsarbeit findet, stellt sie die Frage, ob Lebensqualität nicht auch jenseits der Lohnarbeit zu finden sei.
Der Autorin gelang es, die Gegensätze zwischen Armut und Anspruch, zwischen Kälte und Wärme, zwischen Machtlosigkeit und Selbstbestimmung zu verknüpfen. Sie schilderte, wie Gesprächspartner aus allen sozialen Schichten auf dieselben Fragen antworten: »Wie viel Geld ist genug?«, »Wer sollte mehr, wer weniger haben?« und »Kann Geld wirklich glücklich machen?« Dabei machte sie auch deutlich, dass besonders Menschen mit geringem Einkommen oft zögern, ihre Geschichte zu erzählen. »Mein Leben ist doch uninteressant«, habe eine Gesprächspartnerin gesagt - eine Haltung, die Kaiser in ihrem Buch sichtbar macht. Reiche Interviewpartner hingegen hätten häufig Änderungswünsche an ihren Passagen geäußert.
Mit einem eindringlichen Appell forderte die Journalistin das Publikum dazu auf, gesellschaftliche Strukturen zu hinterfragen und Chancengerechtigkeit einzufordern: »Viel wichtiger als mein eigenes Politikstudium finde ich, dass alle Menschen, die Lust auf ein solches Studium haben, es machen könnten. Unabhängig davon, ob ihre Eltern Oberärztin oder Lkw-Fahrer sind, unabhängig vom Kontostand ihrer Eltern und unabhängig vom Bücher- und Plattenregal ihrer Eltern.«
Mit persönlichen Anekdoten und präziser Beobachtungsgabe zeichnete Kaiser das Bild einer durch Geld geprägten Gesellschaft - und hinterließ im Jokus die Frage, wie wir selbst mit Geld umgehen und welche Zukunft wir uns leisten wollen.
,, Alle Menschen, die Lust auf ein
Studium haben, sollten es machen können.
Unabhängig davon, ob ihre Eltern Oberärztin oder Lkw-Fahrer sind.