/Madrid . 150 jüdische Führungspersönlichkeiten appellierten am Dienstag zum Abschluss der Jahreskonferenz der European Jewish Association (EJA) in Madrid an die europäischen Regierungen, mehr Verantwortung für die Sicherheit jüdischer Bürger zu übernehmen und nicht länger zuzusehen, wie »Demokratien unter der Last ihres Schweigens zusammenbrechen«.
Die Konferenz stand unter dem Motto »Aufbauen oder Gehen? Zeit der Entscheidung für Europas Juden« und habe laut der Veranstalter sowohl das Ausmaß des sich in der europäischen Gesellschaft ausbreitenden Antisemitismus als auch das Versagen der meisten politischen, akademischen und gesellschaftlichen Institutionen gezeigt, die ihm nicht entgegenträten.
»Antizionismus und Antisemitismus sind zwei Seiten derselben Medaille«, sagte Rabbi Menachem Margolin, Vorsitzender der EJA.
»Europa hat Hass importiert, und das ist für alle offen sichtbar. Die Politiker, die so tun, als würden sie ihn nicht sehen, tragen direkt zum Problem bei.« Angesichts einer Explosion des Antisemitismus vor allem im Westen Europas verabschiedete die EJA-Jahreskonferenz einen Sechs-Punkte-Aktionsplan. So müsse die EU und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine universelle Rechtsdefinition des Antisemitismus durchsetzen - mit strafrechtlichen Sanktionen, die in allen Mitgliedstaaten Anwendung fänden.
Landesweite Kampagnen sollten die Bürger an ihre Pflicht erinnern, die Grundwerte Europas zu wahren: Toleranz, Würde und Respekt. Öffentlich finanzierte Hochschulen müssten zur Einhaltung von Antidiskriminierungsstandards verpflichtet werden.
Auch solle die Zusammenarbeit zwischen jüdischen Gemeinden und Strafverfolgungsbehörden verbessert werden, um antisemitische Hassverbrechen und strafrechtlich zu verfolgen. Ein zentrales Koordinierungsgremium solle zudem länderübergreifend rechtliche, politische und sicherheitspolitische Maßnahmen vorantreiben.
»Wir stellen keine Fragen mehr«, sagte Margolin. »Wir fordern unsere Rechte.« Eine exklusive europaweite Ipsos-Umfrage, die auf der Konferenz vorgestellt wurde, zeichnet ein düsteres Bild: So sagten 65 Prozent der Europäer, der Krieg im Nahen Osten habe die öffentliche Einstellung gegenüber Juden verschlechtert. 20,4 Prozent geben den Juden in ihren eigenen Ländern die Schuld am Konflikt.
»Hier geht es nicht um Episoden oder Vorfälle«, so David Lega, Leiter der Interessenvertretung der EJA und ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments. »Hier geht es um einen Systemzusammenbruch. Die Institutionen, die Juden schützen sollen, sehen uns beim Untergang zu - und tun nichts.«
Auch der konservative britische Autor Douglas Murray betonte: »Antisemitismus ist die Krankheit, die den Verfall einer Gesellschaft signalisiert. Jede Gesellschaft, die Antisemiten beherbergt, wird auseinanderfallen.«
Manuel Valls, Minister für die französischen Überseegebiete und ehemaliger Premierminister, fügte hinzu: »Europa ist wieder einmal ein Ort, an dem Juden ermordet werden können, weil sie Juden sind. Der Kampf gegen den Antisemitismus ist ein Kampf um die Seele Europas - und um sein Überleben.«
Torsten Krückemeier, Präsident des Polizeipräsidiums Mittelhessen, der mit Lawrence de Donges-Amiss-Amiss vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde Gießen an der EJA-Konferenz teilnahm, erklärte auf Anfrage: »Der Titel der diesjährigen Konferenz der EJA berührt mich als Polizist sehr. Die Werte der europäischen Demokratien beruhen auf Freiheit, Gleichheit und Sicherheit. Wenn jüdische Gläubige darüber nachdenken, aus Angst um ihre Sicherheit ihre europäische Heimat zu verlassen, dann trifft mich das. Umso dankbarer bin ich, dass ich die Gelegenheit bekommen habe darzustellen, wie eng die Kooperation insbesondere mit der Jüdischen Gemeinde Gießen ist und was wir alles tun, um die Sicherheit unserer Freunde zu gewährleisten.«
Der Kampf gegen Antisemitismus sei für ihn keine symbolische Angelegenheit, sondern unerlässlich für den Schutz der Demokratie.