. Am heutigen Montag, 5. Mai, findet der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung statt. Unter dem Slogan »Menschenrechte sind nicht verhandelbar« betreut und unterstützt die Aktion Mensch rund um diesen Anlass verschiedene Projekte, die sich mit der Sensibilisierung für und der Unterstützung von Menschen mit Behinderung einsetzen. Eine davon war die Mitmach-Aktion des Blinden- und Sehbehindertenbundes in Hessen (BSBH), bei der im Verein engagierte Helferinnen und Helfer Fragen beantworteten und zur Sensibilisierung durch Selbsterfahrung visueller Einschränkung einluden. Dafür war die in Gießen ansässige Stelle der Beratung »Blickpunkt Auge« am Samstag mit ihrem »InfoMobil« in den Seltersweg gekommen.
Ansprechpartner seit 15 Jahren
»Das ist eine Mini-Beratungsstelle auf Rädern, die durch ganz Hessen fährt«, erklärt Kerstin Germann. Mit dieser mobilen Anlaufstelle kann für viele Menschen der ersten Schritt hin zu Beratung und Hilfe deutlich vereinfacht werden. »Sensibilisierung ist unser großes Ziel. Wir engagieren uns für die Belange von Menschen mit Sehbehinderung.« So fasst Sven Germann, Leiter der Bezirksgruppe Gießen-Oberhessen, die Aufgabe des Vereins zusammen. In seiner Rolle setzt er sich seit 15 Jahren als Ansprechpartner und politischer Repräsentant für die Interessen Betroffener ein. Ziel ist ein rücksichtsvolleres Miteinander.
Der bundesweit aktive Verein hat 22 Beratungsstellen in Hessen. Die in Gießen beheimatete Beratungsstelle »Blickpunkt Auge« agiert unter anderem als Ansprechpartner für Betroffene einer Sehbehinderung und deren Angehörige. Sie unterstützen mit ihrer Expertise auch Behörden und Unternehmen: »Wir treten als große Selbsthilfegemeinschaft an die Gemeinde, die Deutsche Bahn, Unternehmen, die Stadtwerke und viele andere heran.«
So könne die Gruppe auf privater wie politischer Ebene Veränderungen anstoßen. Ein Beispiel dafür ist die Vermittlung der Belange von Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen bei der Planung von Baumaßnahmen. Durch den Verein sei unter anderem die Implementierung akustischer Ansagen an ersten Bushaltestellen und Straßenkreuzungen Gießens initiiert worden. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit bleibe nach Germann aber die Arbeit mit den Menschen, welche sich hilfesuchend an sie wenden: »Als allererstes sind wir ein Ansprechpartner für Betroffene«.
Der BSBH ist aus dem Gedanken der Selbsthilfe und gegenseitiger Unterstützung heraus entstanden. Auch mit dem in diesem Jahr 100-jährigem Vereinsbestehen hat sich die Überzeugung der hauptsächlich ehrenamtlich engagierten Mitglieder nicht verändert. Durch gegenseitige Unterstützung und Repräsentation kann ein wertvoller Beitrag zur Inklusion und damit Lebensqualität von Menschen mit Sehbehinderung geleistet werden.
Behindertenbeirat der Stadt Gießen
Der Idee von Selbsthilfe und Beistand für andere hat sich Sven Germann ganz verschrieben. Der selbst von einer Beeinträchtigung seines Sehvermögens Betroffene ist neben seinem Engagement für den BSBH auch als Vorsitzender im Behindertenbeirat der Stadt aktiv: »Es ist mir ein persönliches Interesse, mich für Menschen mit Sehbehinderung zu engagieren. Was für mich gut ist, kann auch für andere Betroffene nur gut sein«.
Im Seltersweg kamen zahlreiche Menschen beim »InfoMobil« von »Blickpunkt Auge« vorbei. Sie konnten Fragen rund um das Thema des Lebens mit einer Sehbehinderung stellen und die Angebote zur Selbsterfahrung von Seheinschränkungen nutzen. So sollte eine Sensibilisierung für betroffene Menschen geschaffen und gleichzeitig mögliche Hemmung, auf Betroffene zuzugehen, abgebaut werden.
Das Team hatte dafür eine kleine Auswahl von Mitmach-Aktionen mitgebracht. Mit einer die Augen ganz umschließenden Dunkelbrille ausgestattet konnten Passanten die Erfahrung machen, wie über einen Blindenstock Leitsysteme auf dem Boden erspürt werden können. Ein weiterer Teil dieses Angebots war eine Demonstration über eine Augmented-Reality-Brille. Durch diese Simulationen wurden die Symptome verschiedener Krankheitsbilder in eine Echtzeit-Aufnahme der realen Umgebung integriert. So konnten unter anderem die von altersbedingter Makuladegeneration (AMD), grünem Star (Glaukom) und grauem Star hervorgerufenen Einschränkungen begreiflich gemacht werden. Die realitätsnahen Eindrücke wurden von Klein und Groß gut angenommen. »Jetzt wissen die Kinder, wozu diese anderen Pflastersteine da sind.«, sagte ein Familienvater, dessen Kinder am Blindtest des Leitsystems teilgenommen hatten.
Ein Nutzer der Augmented-Reality-Brille war der Gießener Architekt Michael Jung. Einschränkungen der visuellen Wahrnehmung seien nur schwierig nachvollziehbar, wenn man selbst nicht betroffen ist. Mit dieser Möglichkeit zur Simulation wollte er nachvollziehen, wie sich diese andere Form der Wahrnehmung anfühlt. Die Erfahrung will er auch in seine Arbeit miteinbeziehen: »Man kann mehr auf die Leute eingehen, wenn man diese Einschränkungen mal am eigenen Leib erfährt.«