Die Organisation »Fix the News« hat es sich zur Aufgabe gemacht, gute Nachrichten zu verbreiten. Dem schloss sich Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher beim Neujahrsempfang des Magistrats am Sonntag im Rathaus an und griff einige dieser positiven Entwicklungen auf: Die tuberkulosebedingen Todesfälle in Afrika seien zurückgegangen, immer mehr Kinder auf der Welt würden Schulen besuchen, und die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes sei in den vergangenen zwei Jahren um die Hälfte eingedämmt worden. Dieser Blick auf das Positive passe ganz gut zum Denken von Ernst Bloch, der in den 50er Jahren »Das Prinzip Hoffnung« geschrieben habe. »Das ist eine Form von Hoffnung, die realistisch, handlungsorientiert und im Hier und Jetzt verwurzelt ist«, sagte der OB und betonte: »Das ist mir sehr sympathisch.«
Becher war es ein sichtliches Anliegen, den Gästen, darunter viele prominente Köpfe aus Politik und Stadtgesellschaft, eine positive Botschaft mit auf den Weg zu geben. Beunruhigende Nachrichten gebe es schließlich zu genüge. »Trump will Kanada und Grönland haben, Höcke will Volksverhetzung legalisieren, die FPÖ soll in Österreich regieren, bei Meta gibt es keine Faktenchecks mehr und in Kalifornien lösen in Flammen stehende ausgetrocknete Wälder eine Katastrophe aus.« Und zuvor sei es nicht gerade besser gewesen, betonte der OB mit Blick auf Corona, Ukraine, Inflation und speziell in Gießen dem gescheiterten Verkehrsversuch, den Ausschreitungen beim Eritrea-Festival, Konflikten über die Jahresabschlüsse oder den drohenden Einbrüchen bei den kommunalen Einnahmen. »Gesellschaftliche Spaltungen, Polarisierung und Extremismus haben auch in unserem Land ihre Schatten geworfen«, fügte Becher der Liste noch hinzu. Daher sei es umso wichtiger, die Hoffnung auf Besserung nicht aufzugeben. »Ich halte Hoffnungsgeschichten, die Veränderungen in Gang setzen, für die wichtigste Perspektive für unsere Gesellschaft und für die beste Antwort auf die Untergangsszenarien der politischen Extreme.« Für diese Worte erntete der Oberbürgermeister langanhaltenden Beifall.
Über noch mehr Applaus konnte sich an diesem Vormittag nur Sängerin Diana Iancu freuen, die unter dem Motto »Pop trifft Musical« und der Begleitung von Gabriela Tasnadi am Klavier den Neujahrsempfang eindrucksvoll und stimmgewaltig begleitete.
Singen ist ein Verb. Es stand aber nicht auf der Liste an Tätigkeitswörtern, mit denen Becher die Aufgaben in der Stadt beschreiben wollte. »Diese Verben sind aus meiner Sicht gut geeignet, weil sie zentrale Aspekte der kommunalen Aufgaben und des gesellschaftlichen Lebens beschreiben.«
Vertrauen auf Ernst Bloch
Becher erinnerte etwa an den Verkehrsentwicklungsplan und den Sportstättenentwicklungsplan (»planen«), an Vereinsförderung, Integrationslotsen und den Gießen-Pass (»kümmern«), an die Konrad-Adenauer-Brücke, die Kongresshalle samt Erinnerungsort »Knesset« sowie die Sporthalle an der Liebigschule, die noch im Herbst dieses Jahres eingeweiht werden soll (»bauen«), an Feuerwehr, Tempo-30-Zonen und den Kirchenplatz (»schützen«), die Attraktivitätssteigerung der Innenstadt und die Digitalisierung (»organisieren«), an die große Demo gegen Rechtsruck, das interreligiöse Friedensgebet sowie die Gründungsmesse des TIC (»zusammenbringen«), an die Agenda-Gruppen (»beteiligen«) sowie abschließend zum Verb »feiern« an die Kulturnacht und die Suche nach einem neuen Gelände für Festivals, die für junge Menschen eine Art Lebenselixier seien.
Nicht wenige der von Becher aufgezählten Punkte gehören zu den sogenannten freiwilligen Leistungen, und die könnten durch den Wegfall von Geldern in Gefahr geraten. »Wenn uns Land und Bund nicht alle Ressourcen zugestehen, die wir für die beschriebenen Tätigkeiten brauchen, können wir die vielen konkreten Schritte hoffnungsvollen Handelns nicht gehen«, sagte Becher.
Bleibt aus Gießener Sicht zu hoffen, dass die Einschnitte nicht so hoch ausfallen wie jüngst von Bürgermeister Alexander Wright skizziert. Die Stadt geht bereits auf unterschiedlichen Wegen dagegen vor. Dazu passt Bechers Blick auf Bloch. Dessen »konkrete Utopie« zeige, dass Hoffnung keine passive Haltung sei, sondern eine aktive, gestalterische Kraft. »Ich erkenne davon in unserer Stadt sehr viel«, sagte der OB, »weil wir so viele Menschen haben, die mit Beharrlichkeit gerne Tag für Tag an der Zukunft mitbauen.«