. »Freiheit für Can Atalay!« Im türkischen Hochsicherheitsgefängnis Silivri ist der Rechtsanwalt inhaftiert, der sich insbesondere für das Selbstbestimmungsrecht der Kurden und die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt. Zu 18 Jahren Haft verurteilt im April 2022 im Rahmen des Gezi-Prozesses wegen Beihilfe zu einem angeblichen Umsturzversuch. Dies erzählte Marion Adloff von der Amnesty International (AI)-Gruppe Gießen bei der Veranstaltung »Journalismus über Kurden ist kein Verbrechen«. Voll besetzt der große Saal von Dem-Navend, der Demokratischen Gesellschaft der Kurden in Gießen, die in der Lahnstraße 190 beheimatet ist.
In der Anklage gegen Atalay ging es um Proteste im Mai/Juni 2013 gegen die geplante Bebauung des Gezi-Parks im Zentrum von Istanbul. In dem gesamten Prozess sei nicht nachgewiesen worden, dass es Pläne für einen Umsturz gegeben hatte. Weder er noch die anderen Angeklagten hätten, so AI, irgendeine nachweisbare Straftat begangen. Deshalb wurde Can Atalay von AI als gewaltloser politischer Gefangener anerkannt. Mit einer Postkartenaktion an den türkischen Justizminister in Ankara wird seine sofortige Freilassung gefordert. Die AI-Gruppe Gießen gründete eine Türkei-AG, um mit der Adoption politischer Gefangener diesen besser helfen zu können.
»Feder für Pressefreiheit«
Seit 2018 verleiht der Deutsche Journalisten Verband (DJV) Hessen jährlich die »Feder für Pressefreiheit«, berichtete deren Vorstandsmitglied Sylvia Kuck, Journalistin des Hessischen Rundfunks. Erste Preisträgerin war Zehra Dogan, eine in der Türkei inhaftierte kurdische Künstlerin und Journalistin, die im Folgejahr freigelassen wurde. Die Türkei nutze die Justiz zum Druck gegen unliebsame kurdische Journalisten. Kuck hatte sich viele Jahre nachdrücklich für die Freilassung des kurdischen Journalisten Nedim Türfent eingesetzt.
Das kurdische Journalistenpaar Nedim Türfent und Özgür Sevinc Simsek lebt derzeit in Gießen. Sie waren beide für mehrere Jahre in der Türkei eingesperrt, weil sie über die Situation der Kurden berichteten und die türkische Regierung kritisierten. Beide sind in großer Sorge, da ihr Visum Ende Juli abläuft und es nicht klar ist, wie es für sie danach weitergeht. In der Türkei drohten ihnen Repressionen und weitere Gefängnisaufenthalte. Beide berichteten von ihren Recherchen.
Türkei rutscht ab in Pressefreiheitsskala
Nedim Türfent informierte über das Geschehen in der Region »Rojava« in Nord- und Ostsyrien, ein Gebiet mit kurdischer Selbstverwaltung und funktionierender direkter Demokratie. Hier sind die meisten kurdischen Journalisten getötet worden.
In der Pressefreiheitsskala von 180 Ländern sei die Türkei auf Platz 159 abgerutscht, konstatierte Özgür Sevinc Simsek. Weil eine hohe Anzahl von Journalisten inhaftiert ist. Von 2025 bisher 60 festgenommenen wurden 25 nicht wieder freigelassen. Die Mehrheit der Inhaftierten würde unter »schweren Auflagen« auf freien Fuß gesetzt. Bloße Kritik an der Regierung reiche für ein Ausreiseverbot. Neben Repressionen sei auch die körperliche Gewaltanwendung der Polizei zu nennen. Wer solches filme, werde selbst zum Opfer dieser Gewalt.
Ein Großteil der Vorwürfe gegen Journalisten werde als Terrorismus deklariert. Dabei beträfen sie Berichte über den Kurdenkonflikt, Menschenrechtsverletzungen und Militäroperationen. Journalisten seien nicht nur juristischer Willkür ausgeliefert, sondern wähnten sich in ständiger Lebensgefahr. In den türkischen Medien herrsche über solcherart Vorfälle im eigenen Land das große Stillschweigen, während über ähnliche in anderen Ländern ausführlich berichtet werde.
Wegen Beleidigung zu Haft verurteilt
Initiiert wurde die Veranstaltung von dem Verein »Wahrheitskämpfer« mit Sitz in Frankfurt und Gießen. Die beiden Vorsitzenden Susanne Köhler und ihr Lebensgefährte Gerhard Keller stellten ihr vor zehn Jahren gegründetes Projekt vor, in dem mehr als 800 gezeichnete Porträts von ermordeten oder inhaftierten Journalisten inkludiert sind - mit jeweils ausführlichem Text. Zwei Dutzend von ihnen, die über Kurden berichteten, sind in einem extra Booklet »Journalismus über Kurd:innen ist kein Verbrechen« zweisprachig veröffentlicht. Das Booklet entstand anlässlich eines internationalen Tribunals über die Kriegsverbrechen der Türkei in Rojava.
Köhler und Keller erzählten, dass die bekannte türkische Journalistin Sedef Kabas wegen Beleidigung Erdogans zu Haft verurteilt worden sei. Die Journalistin hätte 2022 in einer Fernsehsendung unter anderem das harte Vorgehen der türkischen Regierung gegen Kritiker angeprangert. Das von ihr zitierte Sprichwort »Wenn ein Ochse in einen Palast geht, wird er kein König, sondern der Palast wird zum Stall«, habe Erdogan wohl auf sich bezogen gesehen.