14. Mai 2025, 20:52 Uhr

Literatur

Ein rot funkelnder Stein im Bauchnabel

Steffen Schroeders legt eine einfühlsame Romanbiografie über Nackttänzerin Anita Berber vor.
14. Mai 2025, 20:52 Uhr
TSA
Auch der Maler Otto Dix war von ihr fasziniert: Anita Berber auf einem Gemälde aus dem Jahr 1925. Foto: dpa

Eine junge Frau liegt mit Tuberkulose im letzten Stadium im Bethanien-Krankenhaus in Berlin. Vor nicht allzu langer Zeit war sie noch ein großer Star, eine Stummfilmdiva und Nackttänzerin, die ein wildes, exzessives Leben führte und der das Publikum zu Füßen lag. Nun ist sie völlig verarmt und dämmert in einem großen Krankensaal in Gesellschaft anderer schwer kranker Frauen dahin. In Fieberträumen, in denen Gegenwart, Erinnerungen und Halluzinationen verschwimmen, blitzen verschiedene Szenen ihres rastlosen, rauschhaften Lebens auf. Es sind oft quälende, schmerzhafte Erinnerungen.

Die junge Frau, die da leidet und bald sterben wird, ist Anita Berber (1899-1928), eine der schillerndsten Figuren der Weimarer Republik, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist und der Steffen Schroeder in seinem neuen Roman »Der ewige Tanz« ein anrührendes literarisches Denkmal gesetzt hat: »Sie trägt einen prachtvollen, silbern funkelnden Umhang, ihren Kopf ziert eine über und über mit Pailletten und Perlen bestickte Kappe, aus der, gleich einer Krone, riesige, kostbare Federn emporragen. (…) Sie breitet ihre Arme aus und streift mit gebieterischer Geste ihren Umhang ab: Halb nackt steht sie da, ihr Gesicht, ihr ganzer Körper bleich wie der Mond. Einzig ihre Lippen leuchten rot, genau wie der funkelnde Stein, den sie im Bauchnabel trägt.«

Bereits in seinem vorhergehenden Roman »Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor« über den Physiknobelpreisträger Max Planck hat Schroeder eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie atmosphärisch und detailreich er das Zeitgefühl einer Epoche lebendig werden lassen kann. Nun sind es also die vermeintlich goldenen Zwanziger Jahre, in die die Leser in dem gut recherchierten und einfühlsam geschriebenen Buch eintauchen. Es sind die Jahre, in denen die Menschen den Ersten Weltkrieg vergessen wollen und sich nach Freiheit sehnen, eine Zeit mit Glanz- und vielen Schattenseiten. So begleitet man die Protagonistin in die Clubs der Berliner Bohème, ist Zeuge ihrer glänzenden Auftritte, durchstreift mit ihr verruchte Lokale, erlebt sie bei der Arbeit im Filmstudio wie bei wilden Partys und begegnet berühmten Zeitgenossen wie Fritz Lang, Otto Dix und Marlene Dietrich, von der es an einer Stelle heißt: »Aber Marlene verzupft ja auch alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist, ob Mann oder Frau.«

In einer klaren, eingängigen und bildhaften Sprache fächert der Autor das schier atemlose, skandalumwitterte Leben der »Berber« auf, die sich in der Öffentlichkeit gerne provokant im Smoking und mit Monokel zeigte. Männer, Frauen, Morphium, Alkohol, Betrügereien - nichts hat sie ausgelassen, doch in ihrem Inneren blieb sie stets eine verletzliche Künstlerseele, die sich nach nichts außer nach Anerkennung und Liebe sehnte. Durch häufigen Perspektivwechsel gelingt es Schroeder sehr gut, das innere Chaos und die Rastlosigkeit seiner Heldin glaubhaft in den Mittelpunkt zu stellen.

Die in Leipzig geborene Anita wächst bei ihrer Großmutter auf, die in Schroeders Schilderung deutlich feministische Züge trägt und die ihr folgenden Rat mit auf den Weg gibt: »Ein Mann weiß häufig nicht, was er will. Das ist kein Problem. Aber eine Frau, die nicht weiß, was sie will, die ist verloren.«

Ihre Mutter, eine Chansonsängerin, hat keine Zeit für sie. Zeitlebens leidet Anita unter der Herz- und Lieblosigkeit ihrer Mutter, und nur in der Tanzkunst, in der sie sich kühn und kompromisslos hingibt, findet sie zeitweise Erfüllung und Erlösung. Eine lesenswerte Romanbiografie mit sehr viel Zeitkolorit.

Steffen Schroeder: Der ewige Tanz. 302 Seiten. 24 Euro. Rowohlt.



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