13. Mai 2025, 18:29 Uhr

Literatur

Ein Ire aus Berlin zu Gast in Gießen

Schriftsteller Alan Murrin stellt seinen Romandebüt »Coast Road« im Hermann-Levi-Saal des Gießener Rathauses vor.
13. Mai 2025, 18:29 Uhr
BJN
Straßensperrung nach einem Sturm im irischen Donegal. Und auch Hauptfigur Colette droht die Verbindung über die »Coast Road« zur Dorfgemeinschaft zu verlieren. Foto: dpa

. Der Irish Pub gilt als eine Art Wahrzeichen des Landes. Als Inbegriff von Geselligkeit und schrankenloser Zugehörigkeit hat er weltweit seine Ableger gefunden. Und auf der Grünen Insel selbst dient er seiner Kundschaft als ausgelagertes Wohnzimmer noch in den allerkleinsten Dörfern. Doch wehe, eine Frau sitzt dort allein am Tresen. »Scandal!«, kommentiert Alan Murrin augenzwinkernd. Doch einen solchen verursacht auch seine selbstbewusste Protagonistin Colette, die 1994 nach einer Phase als Künstlerin in der Hauptstadt Dublin in ihre ländliche Heimat Donegal zurückkehrt - und ungewollt als (trinkende) Außenseiterin den Klatsch und Tratsch befeuert. Murrin stellte seinen Debütroman »Coast Road« am Montagabend auf Einladung des Literarischen Zentrums Gießen (LZG) im Hermann-Levi-Saal vor und diskutierte darüber auf Englisch mit Prof. Ivo Steininger, der Anglistik an der Justus-Liebig-Universität lehrt. Stadttheater-Schauspieler Roman Kurtz übernahm den Part des Vorlesers der deutschen Übersetzung.

Irland hat in den vergangenen Jahrzehnten einen atemberaubenden Wandel durchlaufen. Die EU und die Steuerpolitik brachten dem ehedem bettelarmen Land am Rande Europas enormen Wohlstand. Zugleich sorgten die zahlreichen Skandale der katholischen Kirche für eine gesellschaftliche Abwendung von der zuvor so einflussreichen Institution. Was folgte, war eine Liberalisierung aller Lebensbereiche, es war der Aufbruch in eine neue Zeit. Und doch seien vor allem im ländlichen Raum weiterhin Strukturen zu finden, die an ein Irland von früher erinnert, berichtete Murrin.

Seinen Roman verlegt er in das letzte Jahr, als Ehen in Irland noch nicht geschieden werden konnten. Erst 1995 wurde das restriktive Gesetz per Referendum gekippt, mit einer hauchdünnen Stimmenmehrheit von gerade einem Prozent der Wähler, wie der 1980 geborene Murrin berichtete. Und so taucht er in seinem Buch ein in eine Zeit und eine dörfliche Gesellschaft, die er als Kind dort selbst noch erlebt hat. Als Kind in einem 1200-Einwohner-Dorf - in dem es vielleicht zehn Pubs gab, wie er sich erinnerte.

Colette ist in »Coast Road« die aus der Fremde zurückkommende Außenseiterin, die nicht in die dörfliche Gemeinschaft hineinpasst. Sie hat sich von ihrem Mann getrennt, der nun mit einer farblosen, angepassten jüngeren Nachfolgerin zusammenlebt. Sich scheiden zu lassen, das ging damals schließlich noch nicht. Colette lebt also allein und abseits der Familie und der Dorfgemeinschaft in einem Cottage, mit der Außenwelt verbunden durch die titelgebende Coast Road.

Um dieses Gesellschaftsporträt zu verdichten, wechselt Murrin mehrfach die Perspektive. Zunächst ist es die gleichalte Izzy, die während eines Gottesdienstes die attraktive Colette bewundert. Später geht es ins Clubhaus eines Golfplatzes, in dem sie von ihrer Bekannten Tanya die jüngsten Gerüchte über die Außenseiterin erfährt. Dazwischen liegt eine weitere Pub-Szene, vom Autor plastisch und atmosphärisch dicht geschildert. Der örtliche Metzger macht sich um 4 Uhr morgens im Vollrausch zu Fuß auf den Weg zum abgelegenen Cottage. Colette wimmelt ihn zwar erfolgreich durch die geschlossene Haustür ab - doch die Dorfgemeinschaft erfährt von seinem Ausflug. Und nun droht sich die Geschichte gefährlich zuzuspitzen. Zumal sie, wie eingangs geschildert, selbst im Pub zu tief ins Glas schaut, was im Irland dieser Jahre als unmöglich galt, wie Murrin betonte. So entwickeln sich wechselseitige Anziehungen und Abstoßungen, die Alan Murrin auf spannende Weise miteinander in Verbindung setzt - und damit eine ganze Gesellschaft porträtiert.

Der seit einigen Jahren in Berlin lebende Gast wurde mit seinem Debütroman 2024 bei den Irish Book Awards als »Newcomer of the Year« ausgezeichnet. Er reiht sich damit ein in eine bemerkenswert große Reihe an spannenden Autoren, die von der Insel stammen, wie Aaron Reen in seiner Begrüßung erinnerte. Der stellvertretende Generalkonsul Irlands in Frankfurt war als Kooperationspartner des LZG nach Gießen gekommen und berichtete von der reichen Literaturszene des Landes, die ihre Spuren auch in den nächsten Monaten bei verschiedenen Lesungen in der Region hinterlassen wird.



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