16. April 2024, 20:48 Uhr

Linkspartei

Die wahre Mutter aller Probleme

EU-Wahlkampfauftakt der Linken in Gießen - Janine Wissler fordert mehr Umverteilung statt Migrationsbekämpfung
16. April 2024, 20:48 Uhr
MUZ
Die Bundesvorsitzende der Linken, Janine Wissler (l.) , stärkte Europakandidatin Desiree Becker den Rücken. Foto: Zimmermann

. »Wir haben eine Welt zu gewinnen!« Diese ermutigenden Worte von Karl Marx und Friedrich Engels mögen auf den ersten Blick nicht zur gegenwärtigen Situation der Linkspartei passen. Nichtsdestoweniger dürfte sie Janine Wissler ganz bewusst an das Ende ihrer Rede am Gießener Kugelbrunnen gesetzt haben. Denn auch wenn die Partei sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene ein Tief zu erleben scheint, war es der Bundesvorsitzenden sichtbar wichtig sich zuversichtlich und kämpferisch zu geben, als sie ihren hessischen Parteigenossen gestern zum Wahlkampfauftakt für die Europawahl Solidarität spendete.

»Wir sind die Alternative für alle, die zu Recht sauer auf das Versagen der Ampel sind oder dem Erstarken der Rechten etwas entgegensetzen möchten«, formulierte Wissler den Anspruch ihrer Partei, die den Einzug in den hessischen Landtag verpasste und deren Fraktion sich im Bundestag nach Sahra Wagenknechts Ausscheren und Gründung einer eigenen Partei kürzlich selbst aufgelöst hatte.

»Es braucht einen Pol der Hoffnung von links, und der wollen wir sein!« Flammend warb die Vorsitzende auch für die Europa-Spitzenkandidatin der Linken in Hessen, die Gießenerin Desiree Becker. Die Gewerkschaftssekretärin sei eine »laute Anwältin für die Rechte der Arbeitnehmer in Europa.« Becker befindet sich derzeit auf Listenplatz Sieben. Für Ihren Einzug ins Europaparlament müsste die Partei bei der Wahl im Juni daher auf knapp 7 Prozent kommen. Ein ambitioniertes Ziel, doch die Kandidatin scheint sich dem gewachsen zu sehen. »Wenn jede Partei die Haltung verliert, dann müssen wir diejenigen sein, die sie aufrecht erhält«, stand sie ihrer Bundesvorsitzenden in Sachen Kampfgeist nicht nach.

Wie um zu zeigen, dass noch mit ihnen zu rechnen ist, hatten sich Vertreter der Kreisverbände Kassel, Frankfurt, Lahn-Dill, Darmstadt, Groß Gerau, Marburg und Werra-Meißner auf dem Kreuzplatz eingefunden, um die Gießener Linke zu unterstützen. Durch Live-Musik, Bratwurst, Popcorn und Kinderschminken bekam die Veranstaltung Straßenfestcharakter, wenn auch wiederkehrende Regenschauer der Resonanz deutlich geschadet haben. Pünktlich zu Wisslers Anreise, die sich aufgrund des Unwetters um einiges verzögert hatte, zeigte dann jedoch auch die Sonne wieder ihr Gesicht. Und trotz der Rückschläge hat die Linke, zumindest rhetorisch ihr Selbstbewusstsein nicht verloren. Becker fordert in ihrer Rede etwa die 4-Tage Woche bei vollem Lohnausgleich und Widerstand gegen den Migrationskurs der übrigen Parteien. Bei der Verteilungsfrage zeigte sie klare Kante. »Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten! (…) Der Feind kommt nicht im Schlauchboot, er kommt mit der Privatyacht!«

Auch Wissler besann sich bei ihrer Kritik an der europäischen Migrationspolitik auf den alten Hauptfeind der Linken. »Wir haben kein Flüchtlings-, wir haben ein Verteilungsproblem! Die soziale Ungleichheit, der Kapitalismus, ist die Mutter aller Probleme, nicht die Migration!«

Die Vision der Linken für Europa beinhaltet länderübergreifenden, kostenlosen und flächendeckenden ÖPNV, Wohnungen und Krankenhäuser in öffentlicher Hand, die höhere Besteuerung von Superreichen und offenere Grenzen. Ein »Europa, dass den Klimaschutz wieder ganz nach vorne stellt«, ein »Europa des Friedens und der Abrüstung«, und ein »Europa der Solidarität, in dem der Reichtum gerecht verteilt wird«, ließ sich Wisslers Plädoyer für eine bessere EU zusammenfassen.

Und es gäbe durchaus Gründe zur Hoffnung, dass die Partei an diesem Europa arbeiten könne, schürte die Vorsitzende den Optimismus unter den Genossen. Etwa 3000 Neueintritte habe die Linke in den letzten Monaten zu verzeichnen. Dass es auch einer vollkommen marginalisierten Partei gelingen kann, wieder aus der Versenkung aufzuerstehen, demonstriert gegenwärtig die KPÖ in Österreich. Ob auch die Linke hierzulande dazu fähig sein wird, bleibt abzuwarten. Doch die Europawahl wird auf jeden Fall ein Indikator dafür sein, in welche Richtung es für die Partei künftig geht.



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