17. November 2022, 13:00 Uhr

Pohlheim

Nummer bleibt als stumme Erinnerung

Sie hat als Kleinkind das Konzentrationslager Auschwitz überlebt: Die 79-jährige Eva Umlauf erzählte in der Adolf-Reichwein-Schule in Pohlheim aus ihrem Leben.
17. November 2022, 13:00 Uhr
Im Hintergrund das Porträt des 1944 ermordeten Pädagogen und Widerstandskämpfers Adolf Reichwein: Eva Umlauf las in Pohlheim aus ihren Erinnerungen. Foto: Häuser

Äußerlich lässt sich nicht erahnen, welche Biografie die gebürtige Slowakin hat, die in den späten 1960er-Jahren »der Liebe wegen« nach München zog und dann Kinderärztin und Psychotherapeutin wurde. Lediglich die verwaschene sechsstellige Registriernummer A-26959 auf ihrem linken Unterarm erinnert sie stumm an die wohl schlimmste Zeit ihres Lebens: als sie - kaum zweijährig - mit ihrer schwangeren Mutter ins KZ Auschwitz deportiert wurde.

Defekte Lok verhinderte Gaskammer

Eva Hecht, so ihr Mädchenname, kommt im Dezember 1942 im slowakischen Lager Nováky zur Welt. »Menschen jüdischer Herkunft wurden dort nicht ermordet, sondern mussten nur arbeiten. Dort konnte man überleben«, erzählt Eva Umlauf. Doch die Lage spitzt sich im Jahr 1944 zu. So werden sie und ihre Eltern letztlich doch ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Nur einer defekten Lok ist es zu verdanken, dass die Familie nicht gleich in der Gaskammer landet. Am 3. November 1944 kommen die Waggons mit ziemlicher Verspätung in Auschwitz an. Nur wenige Tage zuvor hatten die Nazis die Vergasungen eingestellt, um angesichts der vorrückenden sowjetischen Armee Spuren zu verwischen.

Trotzdem wird auch der kleinen Eva noch die KZ-Nummer eintätowiert. Eva Umlauf liest dazu aus ihrem Buch. Ihre Mutter habe ihr unzählige Male diese Episode erzählt, »diese eine kleine Szene, die so wichtig ist, weil uns hier der Stempel aufgedrückt wurde, das Zeichen in die Haut graviert wurde, das wir niemals würden ablegen können«. Während die Nadeln in die Haut des Kleinkinds eindringen, habe Eva kurz aufgeschrien, dann aufgehört zu atmen und sei ohnmächtig zusammengebrochen. »Als ich wieder regelmäßig atmete und die normale Gesichtsfarbe zurückgekehrt war, brannte auf meinem Unterarm die Nummer A-26959.«

Tätowierung als Mahnmal

Über die Bedeutung der Auschwitz-Nummern, ihre Funktion als vollkommene Entmenschlichung sei von Überlebenden und deren Nachkommen viel philosophiert worden. Manche ließen sie wegoperieren, heute könne man die Nummer auch narbenfrei loswerden. Eva Umlauf erinnert sich an kein Leben ohne sie. »Sie gehört zu mir wie jedes Muttermal, jede Falte, jede Narbe. Sie ist mein ganz persönliches Mahnmal. Im tiefen Innern bleibt dieses Brandmal immer erhalten«, hält sie es für undenkbar, die Auschwitz-Nummer jemals ablegen zu können.

Leicht nachvollziehbar, dass Eva Umlauf für ihre Erinnerungen in Buchform deshalb den Titel wählte: »Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen«, wobei sie auf das Gedicht eines Freundes zurückgriff. Ein Satz, der dem Buchverlag viel zu lang erschien und zudem nicht mit dem vermeintlich verkaufsfördernden Wort »Auschwitz« versehen war. Es bedurfte hartnäckiger Diskussionen, bis sich Eva Umlauf mit ihrer Formulierung durchsetzte.

Während Eva, ihre Mutter und ihre jüngere Schwester, die in Auschwitz geboren wurde, das Lager überlebten, wurde Vater Imro Hecht im Januar 1945 ins KZ Melk deportiert, wo er im März 1945 vermutlich durch eine Sepsis ums Leben kam. Die Suche nach weiteren überlebenden Verwandten blieb ergebnislos.

Zeitzeugin gegen das Vergessen

Inhaltlich bleibt die Lektüre nicht in der Nazizeit stecken, sondern beschreibt auch das Leben unter der roten Diktatur in der Tschechoslowakei und der Neuanfang in Süddeutschland. Seit 55 Jahren lebt sie in München. 2014 entschloss sich Eva Umlauf, ihre Erlebnisse öffentlich zu machen. Weil sie so jung war, hat sie keine Erinnerungen an die frühe Zeit, kennt vieles nur aus Erzählungen und Recherchen. 2016 erschien dann ihr Buch, mit dem sie als Zeitzeugin unterwegs ist. Mit dem Verein »Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland« besucht sie Schulen und nutzt ihre Biografie, um den Holocaust nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. »Die erste Generation war so traumatisiert, dass sie über das Geschehene nicht gesprochen hat. Verdrängung war die Regel.«

Dass Eva Umlauf bei den Schülerinnen und Schülern der Adolf-Reichwein-Schule Eindruck hinterlassen hat, dürfte auch an der Bitte liegen, der die Autorin nach Ende der Veranstaltung nachkommt. Da krempelt die 79-Jährige den Ärmel am linken Unterarm hoch und zeigt ihre eintätowierte Auschwitz-Nummer den Jugendlichen. So werden diese auch zu Zeitzeugen.

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