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Brasilien – Gießen – Zürich

Stippvisite in Gießen nach dem Aus bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Daniel Davari nutzte die kostbare Zeit, um bei seiner Familie und Bekannten vorbeizuschauen. Schon am Donnerstag ging es aber für den iranischen Nationaltorhüter in Begleitung seiner langjährigen Freundin Kristina Richtung Zürich, wo er seinen neuen Job bei den Grasshoppers antrat.
04. Juli 2014, 22:58 Uhr
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Daniel Davari (r.) und der Physiotherapeut seines Vertrauens, Jahan Golidj, über den Dächern von Gießen. (Foto: gae)

Für den 26-jährigen Gießener geht es auf der großen Fußball-Bühne weiter Schlag auf Schlag.

Dabei schreit Davaris Körper nach Erholung. Sechs intensive Wochen stecken in ihm: Erst die harte dreiwöchige Vorbereitung in Österreich auf die WM und anschließend die Anspannung selbst beim Spektakel am Zuckerhut. Der 1,92 m große Keeper müsste eigentlich regenerieren, auch wenn er in Brasilien nicht zum Einsatz kam. Doch auf den Deutsch-Iraner wartet schon die nächste Herausforderung. Am gestrigen Freitag trat er seinen Dienst beim schweizerischen Erstligisten Grasshoppers Zürich an – sein neuer Arbeitgeber für die nächsten zwei Spielzeiten. Nach fünf Jahren bei Eintracht Braunschweig zog Davari nach dem Abstieg aus der Bundesliga bei den Niedersachsen einen Schlussstrich – er sehnte sich nach einer Veränderung.

Trotz der Strapazen ließ es sich Davari nicht nehmen, seine Familie und alte Bekannte in der Lahnstadt zu besuchen. So absolvierte er am Mittwochabend zur Freude seines ehemaligen Trainers Stefan Frels ein Torwarttraining bei der A-Jugend seines Jugendvereins TSG Wieseck. Und natürlich durfte die obligatorische Visite bei seinem Landsmann Jahan Golidj nicht fehlen. Bei dem Physiotherapeuten seines Vertrauens ließ er sich die verhärtete Beinmuskulatur massieren und erzählte dieser Zeitung aus seinem Leben.

Was hat Sie bei der Fußball-WM am meisten beeindruckt?

Daniel Davari: »Unser Spiel gegen Argentinien mit dem Gegentor in der letzten Minute. Das war zwar kein schönes Ereignis, aber es war etwas, was hängen bleibt. Die Enttäuschung war natürlich sehr groß in der Kabine. Aber wenn man überlegt, dass Messi das Tor schoss, ist das für mich schon ein prägendes Erlebnis.«

Wie haben Sie Ihren Nichteinsatz bei der WM verarbeitet?

Davari: »Es ist ganz normal, dass man nicht zufrieden ist, wenn man nicht spielt. Im Endeffekt war es aber nicht die Enttäuschung, die überwog, sondern die Freude, dass ich dabei gewesen bin.«

Gab es ein Gespräch zwischen Ihnen und Ihrem Trainer Carlos Queiroz?

Davari: »Die Gründe, dass ich nicht gespielt habe, hat er mir nicht genannt. Das muss er auch nicht. Ich muss das akzeptieren.«

In welcher Sprache haben Sie sich im Team verständigt?

Davari: »Der Trainer hat die Ansprachen in Englisch gehalten, er spricht wie ich auch kein Persisch. Ich habe mich mit Englisch durchgeschlagen, das war kein Problem.«

Hatten Sie zu einem Spieler Ihres Teams besonderen Kontakt?

Davari: »Ich hatte mit Steve Beitashour einen Zimmerpartner, der aus den USA kommt und ebenfalls erst seit Kurzem im Team war. Mit ihm habe ich mich sehr gut verstanden.«

Hat die WM ein neues Torwartverhalten geprägt?

Davari: »Nein. Das offensive Verhalten, wie es Manuel Neuer gegen Algerien gezeigt hat, gibt es schon länger. In Deutschland wird viel Wert darauf gelegt, mitzuspielen, beidfüßig zu sein, immer anspielbar zu sein, offensiv zu stehen, nicht immer auf der Linie zu bleiben, die gegnerischen Angriffe schon vorzeitig zu erkennen und die Konter abzufangen. In Braunschweig haben wir dafür sehr viel getan.«

Und wie beschreiben Sie Ihren Stil?

Davari: »Ich versuche ebenfalls immer, offensiv zu spielen.«

Jetzt stehen Sie vor Ihrem neuen Job bei den Grasshoppers. Was erwarten Sie?

Davari: »Zunächst freue ich mich darauf, in Zürich zu sein, auf die neue Mannschaft, auf den neuen Trainer und auf die Herausforderung. Ich habe den Anspruch an mich, gute Leistungen zu bringen. Ich möchte eine erfolgreiche Saison spielen. Und da die
Grasshoppers in der letzten Saison hinter Basel Zweiter wurden, stehen sie in der Champions-League-Qualifikation, sodass ich auch die Möglichkeit besitze, international etwas zu erreichen. Das ist alles sehr motivierend.«

Kennen Sie außer Trainer Michael Skibbe weitere Personen aus dem Züricher Team?

Davari: »Nein, nur den Torwarttrainer, der mich im Trainingslager in Österreich besuchte. Aber Kapitän Veroljub Salatic hat mir vor der WM eine Nachricht geschickt und mir viel Glück gewünscht.«

Verfolgen Sie die hiesige Fußballszene? Was muss getan werden, damit sie ein Mehr an Aufmerksamkeit erhält und aus dem Schattendasein heraustritt?

Davari: »Ich verfolge das nur aus der Ferne und habe gehört, dass der SC Watzenborn-Steinberg investiert hat. Vielleicht ist dies in unserer Region gerade das Problem, dass sich immer mal ein Investor findet, der Spieler für Geld loseist. Aus meiner Sicht wäre es besser, in die Jugend zu investieren. Die TSG Wieseck macht das, und soweit ich weiß, ist es beim VfB 1900 Gießen ähnlich. Aber wie gesagt, ich bin davon zu weit entfernt, um mir eine richtige Meinung zu bilden.«

Könnten Sie sich vorstellen, dass die vielen heimischen Klubs einem übergeordneten mittelhessischen Team personell zuarbeiten, damit es ein überregionales Fußball-Aushängeschild gibt?

Davari: »Ich habe erst kürzlich darüber mit einem Freund geredet. Ich finde es interessant, dass in unserer Gegend fußballerisch eigentlich ein Nichts vorherrscht. Es gibt in Deutschland nur wenige Räume, in denen es ähnlich gelagert ist und es nicht genügend Mannschaften gibt, die nicht höherklassig spielen. Das ist extrem schade. Ich habe mitbekommen, dass hier viele Spieler oft den Verein gewechselt haben, wieder zurückkommen und wieder gehen. Man könnte sich in unserer Region stärker aufstellen, eventuell Mannschaften zusammenführen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man aus dem hiesigen Potenzial mehr rausholen könnte und damit vielleicht den in der Region schlafenden Riesen weckt.«

Zuletzt ein Rückblick auf Ihre eigene Ausbildung. Was hat den Ausschlag gegeben, dass Sie im Tor gelandet sind?

Davari: »Ich habe mit zwölf Jahren in Wieseck als Stürmer angefangen – und war eigentlich gar nicht so schlecht, zuvor habe ich in Garbenteich gespielt. Zeitgleich stand ich im Tor bei den Handballern der HSG Pohlheim. Und nach einem halben Jahr kam der Positionswechsel – ich war zudem groß und konditionell nicht so stark (lacht).«

Diese Entscheidung haben Sie nie bereut?

Davari: Nein, im Feld hätte ich es sicher nicht so weit geschafft. So kann ich mit meiner bisherigen Karriere zufrieden sein.«

Wolfgang Gärtner

Artikel: https://www.giessener-allgemeine.de/import/mdv/sport/sportspezial/art1168,93041

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