Enzheim (mü). Zu einem Rundgang um die Streuobstwiesen bei Enzheim hatten der Landschaftspflegeverband Naturschutzfonds Wetterau als Verein auf Kreisebene sowie die Volkshochschule Wetterau eingeladen. Selina Hochstein und Birte Pech, Referentinnen für den Bereich Streuobstwiesen, erläuterten der Gruppe von Interessierten zunächst die paritätische Besetzung der Vereinsspitze.
Diese ist unter dem Vorsitz von Landrat Jan Weckler (CDU) zu je einem Drittel mit Vertretern aus Landwirtschaft/Jagdgenossenschaften, Naturschutz und Kommunen zusammengesetzt. Seit 1985 unterstützt der Naturschutzfonds Wetterau diverse Projekte für Landschaftspflege und Naturschutz wie Schäferei- und Grünland-Beratung, das Feld-Flur- und das Bio-Apfel-Projekt sowie die im Sommer 2022 veröffentlichte Hessische Streuobstwiesenstrategie.
Verbundene Stockwerke
Abwechselnd gingen die beiden Referentinnen daran, den Aufbau von Streuobstwiesen zu erläutern, deren Name sich von den verstreut angepflanzten Obstbäumen ableitet. Sie seien gleichsam in eng miteinander verbundenen Stockwerken aufgebaut - vom Erdboden mit seinen vielen Klein- und Kleinstlebewesen über die Wiese, die auf dem Basaltgestein der Vogelsbergausläufer eine Vielzahl von Blüten und Kräutern hervorbringe, über die Welt der Insekten, Amphibien, Kleinsäuger und Säuger bis hin zu den Obstbäumen und den Vögeln.
Wie zur Bestätigung ließ sich laut die rund 600 Tiere starke Schafherde des Enzheimer Großschäfers Thomas Etzel vernehmen, die nahebei friedlich den Wiesenboden beweidete. »Diese Merino-Schafe sind wichtige Landschafts- und Wiesenpfleger«, erläuterte Birte Pech mit Blick auf die vielen Mutterschafe und ihre Lämmer. Tatsächlich konnten die Gäste unter Anleitung von Birte Pech und mit Hilfe eines sogenannten Pflanzenfächers auf einem Wiesenstück von nur vier Quadratmetern eine Vielzahl von Pflanzenarten bestimmen: von Gänseblümchen, Labkraut, Hahnenfuß sowie Horn- und Rotklee bis hin zu Ehrenpreis, Schafgarbe, Spitzwegerich sowie Storchenschnabel reichte die Palette.
»Wir haben noch 575 Schafhalter in der Wetterau«, sagte Birte Pech. »40 Prozent von ihnen betreiben dieses in der Region traditionsreiche Handwerk allerdings nur noch als Hobby und halten zehn Schafe oder weniger.« Großherden wie die von Thomas Etzel seien eine Seltenheit und die voll erwerbstätigen Schafhalter müssten durch Fördermittel unterstützt werden, um sich durch ihre Arbeit den Lebensunterhalt sichern zu können.
Selina Hochstein ging auf die Geschichte des Apfels ein, der in seiner Wildform aus Kasachstan stammt und von den Römern in den Mittelmeerraum und nach Europa eingeführt wurde. »Mit seinen rund 230 000 Obstbäumen auf einer Fläche von rund 3 000 Hektar zählt der Wetteraukreis zu den streuobstreichsten Landkreisen in Hessen«, sagte Hochstein, die zudem von ihren Zuhörern die Gewichtung der einzelnen Obstsorten erraten ließ. Richtigerweise setzte man den Apfel an die erste Stelle.
Erholung und Entspannung
Tatsächlich ist er mit 56 Prozent am häufigsten unter den Wetterauer Streuobstbäumen vertreten. Es folgen Kirschen mit 22 Prozent, Pflaumen, Zwetschgen, Mirabellen und Quitten mit 15 Prozent, Birnen mit nur sechs Prozent sowie sonstige fruchttragende Bäume - wie etwa die Walnuss - mit einem Prozent. »Streuobstwiesen bieten mit ihren Hecken, Graswegen, Baumhöhlen, Totholz- und Lesesteinhaufen eine große Strukturvielfalt für viele Tier- und Pflanzenarten, bereichern das Landschaftsbild und schenken den Menschen Erholung und Entspannung«, sagte Hochstein. Vielerorts seien Streuobstwiesen aber gefährdet durch Nutzungsaufgabe, fehlende Nachpflanzungen und Pflegerückstand, da ältere Besitzer mit der Arbeit überfordert seien und keine Nachfolger fänden.
»Die Hessische Streuobstwiesenstrategie hat zum Ziel, den Fortbestand der noch existierenden Bestände in Hessen zu sichern.« Als Hotspots unter den Streuobstwiesen der Wetterau zählten beide Referentinnen den Ockstädter Kirschenberg, die Streuobstwiesen bei Rodheim und Rosbach sowie das Naturschutzgebiet »Magertriften von Ober-Mörlen und Ostheim« auf. Doch auch kleinere Bestände gelte es zu erhalten, stellten Selina Hochstein und Birte Pech nach einem Exkurs in die Welt der Vögel und der Schmetterlinge in den Streuobstwiesen fest.
Die Projekte und Broschüren des Naturschutzfonds Wetterau findet man unter wetteraukreis.de.
Streuobstwiesen gehören zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas. Sie bestehen aus hochstämmigen, verstreut gepflanzten Obstbäumen verschiedener Sorten, die auf extensiv genutztem Grünland stehen. Diese traditionelle Form des Obstanbaus verbindet landwirtschaftliche Nutzung mit Naturschutz und prägt seit Jahrhunderten das Landschaftsbild vieler Regionen, insbesondere in Süd- und Mitteldeutschland. Durch die vielfältige Struktur - von Baumhöhlen über Blühwiesen bis hin zu Lesesteinhaufen - bieten Streuobstwiesen Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten.