Der Fußgängerzone zeigt sich am Dienstagnachmittag von seiner besten Seite. Etliche Menschen flanieren bei Temperaturen von über 20 Grad an den Schaufenstern entlang. In den gut gefüllten Cafés genießen die Besucher ihre Cappuccinos und die Sonne. Doch der Schein trügt. Die Momentaufnahme spiegelt nicht die Probleme wider, mit denen die Geschäftsleute seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie zu kämpfen haben. Die Stadt Gießen hat daher eine Imagekampagne ins Leben gerufen, um wieder mehr Menschen in die Innenstadt zu locken. Am Dienstagnachmittag haben Vertreter aus dem Rathaus, der BIDs und weiteren Einrichtungen Details der Maßnahme erklärt.
»Wir wollen die Menschen zielgenau ansprechen und sie vom Internet weg wieder leibhaftig in die Innenstadt führen«, sagte Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz und fügte an, dass die Kampagne ein Ergebnis des vom Stadtparlament verabschiedeten Corona-Soforthilfeprogramms sei. 50 000 Euro steuert die Stadt bei, weitere 20 000 Euro kommen von den BIDs, dem Verein »Gießen aktiv« und der Galerie Neustädter Tor.
Nachdem sich eine Arbeitsgruppe mit dem Thema befasst hatte, wurde Steven Sumner mit seiner Agentur SGC mit der Umsetzung beauftragt. Der Kern der Kampagne sieht vor, mit Plakaten, Flyern, Zeitungsanzeigen und Social-Media-Aktionen um die Gunst der Kunden zu werben. »Wir wollen verschiedene Gruppen mit individuellen Botschaften ansprechen«, sagte Sumner. Ältere Kunden erreiche man zum Beispiel besser mit Informationen zu den Parkmöglichkeiten. Junge, nachhaltig orientierte Menschen seien hingegen eher für Informationen über vegetarische Restaurants empfänglich.
Die Vorgehensweise bleibt dabei aber gleich. Das zeigten die Teilnehmer des Treffens, zu denen auch Galerie-Managerin Fabiola Peiniger, Schausteller Andreas Walldorf und Gießens Wirtschaftsförderer Frank Hölscheidt gehörten, bei der Präsentation der Plakate. »Gießen ist...« ist darauf zu lesen, gefolgt von unterschiedlichen Adjektiven wie »natürlich«, »erfrischend«, »überraschend« oder »anziehend«.
Derzeit ist die Gießener Innenstadt aber vor allem eins: angeschlagen. »Wir haben momentan nur 70 Prozent der Umsätze des Vorjahres«, sagt Markus Pfeffer, der Geschäftsführer des BID Seltersweg, und fügte hinzu: »Und das auch nur an guten Tagen.« Pfeffer betonte daher, dass sich die Kampagne in erster Linie an Menschen richte, die im Umland leben. »Sie machen 80 Prozent unseres Umsatzes aus.« Aus diesem Grund hat »Gießen aktiv« vor einigen Wochen bereits 50 000 Flyer, auf denen über die Parkmöglichkeiten rund um die Innenstadt informiert wird, in den Nachbargemeinden verteilt. Die aktuelle Kampagne begrüße er daher sehr, sagte Pfeffer. »Wenn die Stadt solch ein Zeichen für den Einzelhandel setzt, ist das ein Geschenk.«
Thomas Kirchhof vom benachbarten BID Marktquartier stimmte Pfeffer zu. Nach dem Kampf gegen das Outlet Center in Pohlheim sei es erst das zweite Mal, dass Stadt und Einzelhandel gemeinsam solch eine Kampagne auf die Beine stellten. »Wir hoffen, dass uns die Politik ernst nimmt und dem Handel keine Knüppel zwischen die Beine wirft«, sagte Kirchhof und betonte: »Die Innenstadt funktioniert. Aber sie ist bedroht.«
Das weiß auch Peter Neidel. »Wir müssen wieder für mehr Frequenz sorgen und die Menschen für die Innenstadt begeistern«, betonte der Bürgermeister daher. Die Fußgängerzone sei im Vergleich zum Onlinehandel viel mehr als »ein Ort, um Dinge zu besorgen«. »Die Innenstadt hat eine hohe Aufenthaltsqualität. Es ist ein Erlebnis, hier einzukaufen.«
Die Kampagne soll laut Neidel zunächst bis zum Jahresende laufen, sie sei aber jederzeit verlängerbar. Denn wie sich die Pandemie entwickelt und wie das Kaufverhalten nach Corona aussehen wird, steht noch in den Sternen.