08. Mai 2025, 18:30 Uhr

St.-Anna-Kirche in Dorheim

Kein Argument gegen Schließung

Vor einem Jahr feierten die Katholiken in Dorheim noch den 70. Geburtstag ihrer St.-Anna-Kirche. Im neuen Pastoralraum Wetterau-Mitte wird sie nicht mehr benötigt und bald geschlossen.
08. Mai 2025, 18:30 Uhr
JW
»Es ist traurig, aber es ist nun mal so« - und das Leben geht trotzdem weiter (v. l.): Hans Steinwachs und Doris Valentin-Kruse haben beim Gespräch mit WZ-Redakteur Jürgen Wagner viele gute Erinnerungen an die Dorheimer St.-Anna-Kirche und das Gemeindeleben, das sich nun nach Friedberg verlagern wird. FOTOS: NICI MERZ

So klein ist die Dorheimer St.-Anna-Kirche gar nicht. 270 Menschen passen rein. »Früher war sie voll«, sagt Hans Steinwachs. Er ist mit der Kirche »verheiratet«, wie er schmunzelnd sagt. »Ich kenne hier jeden Stein.« Das darf man wörtlich nehmen, war der 81-Jährige doch als Kind dabei, als acht Meter tiefe Pfahlfundamente gebohrt wurden. Bei der Einweihung der Kirche klaffte in der linken Außenwand trotzdem ein Riss, »durch den man beim Abendgottesdienst den Mond sah«.

Steinwachs war mehrfach Vorsitzender des Pfarrgemeinderats, heute vertritt Doris Valentin-Kruse die Interessen der Dorheimer im Pastoralraum. Für beide war es eine betrübliche, aber auch nachvollziehbare Nachricht, als Pfarrer Kai Hüsemann Anfang März in einem offenen Brief das Aus für die St.-Anna-Kirche verkündete. »Knapp die Hälfte der Kosten unserer Kirchen und Pfarrheime können wir uns künftig nicht mehr leisten«, schrieb Hüsemann (siehe unten).

Überall stecken Erinnerungen

»Es gibt keine Argumente gegen die Schließung. Das ist total traurig, aber es ist so«, sagt Valentin-Kruse. 1995 zog sie nach Dorheim, engagiert sich seither in der Pfarrgemeinde. »Für die älteren Dorheimer, die seit Jahrzehnten hierher kommen, tut es mir besonders leid.« Eine kleine Gemeinschaft habe sich gefunden, erzählen Steinwachs und Valentin-Kruse. Ostern kamen 31 Gottesdienstbesucher. »Sonst sind es sechs oder sieben.« Sowie einige evangelische Ehepartner. »Die Kirchenbesucher werden immer weniger. Kinder und Jugendliche fehlen völlig«, schreibt Steinwachs in dem 2024 erschienen Heft zum 70. Geburtstag der Kirche, die am 26. April 1954 eingeweiht worden ist.

Steinwachs beschreibt, wie nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu 800 katholische Heimatvertriebene ins Dorf kamen; wie anfangs die evangelische Johanniskirche mitgenutzt werden durfte und eine »aus der Not geborene Ökumene« entstand; wie das Grundstück für eine D-Mark pro Quadratmeter gekauft und dank Spenden die Kirche errichtet werden konnte. Sonntags wanderten pro Person mindestens 10 Pfennig in den Klingelbeutel. Steinwachs: »Das war damals viel Geld.«

Die St.-Anna-Kirche hat ein beeindruckendes Rosenkranz-Glasfenster und eindrucksvolle Kreuzwegbilder. Steinwachs hat zu allem eine Geschichte, überall stecken Erinnerungen, schöne Erinnerungen. Obwohl: Die Kreuzwegbilder waren den Gemeindemitgliedern anfangs »zu modern«.

Die Sache mit der Heizung

Gebrauchte Glocken wurden organisiert, eine mit der Jahreszahl 1582. Entgegen anderweitiger Behauptungen gibt es doch eine Heizung in der St.-Anna-Kirche; den Protestanten war sie aber stets zu kalt, etwa am Weltgebetstag. Die Dorheimer Katholiken hingegen sind abgehärtet, wissen sie doch dank der Berechnungen von Steinwachs, dass eine Stunde Heizen hier 15 Euro kostet.

Die Friedberger Kapläne waren mehr oder weniger die »Pfarrer von Dorheim«. Erwachsene versahen den Ministrantendienst, Gemeindemitglieder ließen sich zu Wortgottesdienst-Leitern ausbilden, übernahmen immer mehr Aufgaben. Ein »richtiger« Pfarrer wurde in der Kirche schon länger nicht mehr gesehen.

Die 1967 für Dorheim beschaffte Pfeifenorgel wurde in der Friedberger Heilig-Geist-Kirche aufgestellt, dafür gab’s ein neues Harmonium. 1982 kam es dann zum »Orgel-Ringtausch« zwischen Heilig-Geist-Kirche, Georgskapelle und St. Anna, wo nun endlich die Pfeifenorgel eingebaut wurde. Im Ort gab es zwar keinen katholischen Pfarrer, aber einen »Bischof von Dorheim«: So wurde Küsterin Maria Pelzer genannt, die wie andere in der Gemeinde unermüdlich für die Kirche im Einsatz war.

Wie geht es mit St. Anna weiter? Valentin-Kruse und Steinwachs zucken mit den Schultern. Wird das Gebäude für andere Zwecke genutzt? Als Kulturzentrum vielleicht? Wird es verkauft und abgerissen? Valentin-Kruse: »Das steht noch nicht fest. Das muss der Bischof entscheiden.« Valentin-Kruse und Steinwachs würden sich über eine Abschiedsfeier von ihrer Kirche freuen. Und sie ahnen, was los ist, sollten erst die Bagger anrücken: »Das gibt dann einen großen Aufschrei.« Der für Dorheim dann aber zu spät kommt.

Sparpläne im Pastoralraum Wetterau-Mitte

Weniger Mitglieder, Priestermangel, knappe Kassen: Die Pfarrgemeinden müssen sparen, rücken in »pastoralen Räumen« zusammen. Wie Kai Hüsemann, leitender Pfarrer im Pastoralraum Wetterau-Mitte, im März in einem offenen Brief schrieb, unterhalten die elf Pfarreien derzeit 18 Kirchen. Drei werden geschlossen: St. Anna in Dorheim, St. Bernhard in Assenheim und Mariä Geburt in Okarben. Da es in den Pfarreien ein lebendiges Gemeindeleben gebe, wolle man 15 Kirchen erhalten. Dies sei »die teuerste Lösung«. Auf Dauer werde dies das wirtschaftliche Vermögen des Pastoralraums übersteigen. In dem gibt es aktuell sieben Priester. Ab 2027 sind es nur noch drei. Hüsemann fragt, ob es sinnvoll sei, »eine Kirche zu erhalten, in der nur noch ein- bis zweimal im Monat Gottesdienst stattfindet«. In Friedberg bleiben zwei Kirchen erhalten: die Heilig-Geist-Kirche und die Marienkirche, in der gerade die Orgel eingeweiht wurde. Das Albert-Stohr-Haus soll aufgegeben werden. Die Karnevalisten der »Schwarze Sieben« nutzen das Pfarrheim. Wird es künftig von einem Förderverein übernommen? Auch dies wird überlegt. Die Heilig-Geist-Kirche könnte für eine multifunktionale Nutzung ertüchtigt werden; neben der Kirche könnte ein Pfarrsaal angebaut werden. Die Marienkirche wurde bei der Bezuschussung abgewertet, müsste demnach »auf lange Sicht aufgegeben werden« - was sich Hüsemann »für den denkmalgeschützten Bau nur schwer vorstellen kann«.



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