Handy, Kühlschrank, Ampel, U-Bahn - wenn Selbstverständlichkeiten streiken, weil kein Strom mehr fließt, dann ist das bitter, mitunter auch gefährlich. Etwa 55 Millionen Spanier und Portugiesen haben eine solche Ausnahmesituation erlebt, als am 28. April für viele Stunden der Strom ausgefallen ist. Könnte so etwas auch in der Wetterau passieren? Und falls ja, wer würde dann wie reagieren?
Michel Kaufmann, Pressesprecher des in Friedberg ansässigen Energieversorgers Ovag, gibt ein Stück weit Entwarnung; »Die Netze in Deutschland und Spanien sind nur bedingt miteinander vergleichbar. Das deutsche Stromnetz ist grundsätzlich sehr sicher und stabil und zudem deutlich redundanter ausgelegt als beispielsweise das spanische. Zusätzlich ist Deutschland im europäischen Verbundnetz ›zentraler‹ eingebunden, somit können wir von den in den angrenzenden Ländern vorhandenen Erzeugungskapazitäten mit profitieren.« Sei eine Leitung defekt, springe eine andere ein, erklärt Kaufmann. »Nur bei einer sehr gravierenden Störung, so wie auf der iberischen Halbinsel, wird das europäische Verbundnetz aufgetrennt, um den Weiterbetrieb aller anderen Netze zu gewährleisten.«
Störche können Störungen verursachen
Ähnliche Schutzmechanismen gebe es im Netz der Ovag Netz GmbH: »Es ist ringförmig aufgebaut, sodass im Falle einer Störung durch Umschaltungen in den Umspannwerken und in Netzstationen der Strom ›umgeleitet‹ werden kann. In den meisten Fällen lässt sich der Strom so in einem durch eine Störung abgeschnittenen Bereich schnell wieder herstellen.«
Störungen sind auch in der Wetterau nicht ausgeschlossen, wie man immer mal wieder gemerkt hat. Was sind mögliche Ursachen für den Kollaps? Da kämen zahlreiche infrage, erläutert Kaufmann. Relativ oft liege es zum Beispiel an Tiefbauarbeiten oder Wetter-Ereignissen. Und: »Regional betrachtet häufen sich die Störungen im vorgelagerten 110-kV-Netz durch den Horstbau von Störchen.«
Wie lässt sich eine Störstelle auf die Schnelle lokalisieren? »Störungen werden automatisiert in der Netzleitstelle in Friedberg gemeldet und vorlokalisiert, betroffene Komponenten dann durch Schnellabschaltung vom Netz genommen«, macht Kaufmann deutlich. Die Netzleitstelle informiere dann die Monteure oder - außerhalb der Arbeitszeiten - die Rufbereitschaft. Alle 21 Umspannwerke und ein Teil der rund 3400 örtlichen Trafostationen im gesamten Netzgebiet lassen sich laut Kaufmann von der Leitstelle aus fernsteuern, der Rest müsse vor Ort umgeschaltet werden. »Beim Umschalten wird der Strom quasi umgeleitet, dabei werden störungsbehaftete Netzelemente abgeschaltet und die Versorgung in ausgefallenen Bereichen wiederhergestellt.« Bei selten eintretenden größeren Ereignissen könne zusätzlich eine Ingenieurbereitschaft hinzugezogen werden.
Beim Kreis laufen im Fall der Fälle die Fäden zusammen
Wie genau sind - jenseits der Technik - die organisatorischen Abläufe, wenn der Strom den Geist aufgibt? Wir haben bei Deliah Werkmeister, Pressesprecherin des Wetteraukreises, nachgefragt. Beim Kreis laufen im Fall der Fälle die Fäden zusammen. »Der Führungsstab des Fachbereichs Gesundheit und Bevölkerungsschutz wird bei jedem Stromausfall, der länger als zehn Minuten andauert, durch die Zentrale Leitstelle alarmiert und entscheidet dann, ob weitere Maßnahmen einzuleiten sind«, erläutert Werkmeister. Der Wetteraukreis koordiniere insbesondere Maßnahmen der Feuerwehren und Rettungsdienste und die Abstimmung mit den Krankenhäusern als kritische Infrastrukturen.
Priorität: Kliniken und Trinkwasser
Stichwort Feuerwehren: Bei Stromausfällen, die voraussichtlich länger als eine Stunde andauern, sei die Besetzung der örtlichen Feuerwehrhäuser als Anlaufstelle für die Bevölkerung vorgesehen, erklärt Werkmeister. Auch die im Katastrophenschutz eingebundenen Hilfsorganisationen seien bei einem solchen Szenario involviert.
Am wichtigsten sei es, die medizinische Notfall- und die Trinkwasserversorgung aufrechtzuerhalten. »Die Krankenhäuser verfügen baulich über eine entsprechende Notstromversorgung. Hier würden gegebenenfalls notwendige Treibstofflieferungen in einer länger andauernden Lage durch den Wetteraukreis koordiniert.«
Umfangreiche Maßnahmen bei einem Stromausfall wurden etwa bei dem länger andauernden Stromausfall in Bad Nauheim im Juni 2013 eingeleitet. Der Führungsstab des Wetteraukreises war auch beim Stromausfall am Ostersonntag 2025 im Einsatz.
Auch mit PV-Anlage nicht sorgenfrei
Kann einem ein Stromausfall egal sein, wenn man eine Photovoltaikanlage auf dem Dach hat? Kann man zumindest für eine bestimmte Zeit gelassen bleiben? So einfach ist es nicht, wie die Antwort von Ovag-Sprecher Michel Kaufmann verdeutlicht: »Eine PV-Anlage ist entgegen der landläufigen Meinung per se nicht schwarzfallsicher. Da sie auf die technische Anbindung ans Netz angewiesen sind, funktionieren auch Anlagen mit einem Stromspeicher bei einem Ausfall nicht. Es gibt allerdings die Möglichkeit, die Anlage für einen Notstrombetrieb durch zusätzliche Komponenten auszurichten.«
Das Ovag-Stromnetz
Das Netzgebiet der ovag Netz GmbH umfasst etwa 3000 Quadratkilometer und erstreckt sich über den Vogelsbergkreis, den Wetteraukreis und Teile des Landkreises Gießen, des Main-Kinzig-Kreises und des Hochtaunuskreises. In diesem Gebiet betreibt die ovag Netz GmbH das 20-kV-Mittelspannungsnetz mit einer Länge von etwa 3020 Kilometern, verteilt auf 21 Umspannwerksstandorte und rund 3400 Trafostationen, sowie das 0,4-kV-Netz mit einer Länge von rund 7000 Kilometern zur Versorgung mit elektrischer Energie für insgesamt rund 168 000 Entnahmestellen mit etwa einer halben Millionen versorgten Menschen.