09. Mai 2025, 21:29 Uhr

»Wir können den Hebel noch umwerfen«

Das Leben und (Aus-)Sterben der Insekten in der Wetterau

In nur 25 Jahren sind 75 Prozent der Insekten in Deutschland verschwunden. Naturexperte Frank Uwe Pfuhl berichtet, wie es Schmetterlingen, Käfern oder Bienen in der Wetterau geht.
09. Mai 2025, 21:29 Uhr
WJS
»Ich bin kein Schwarzmaler«, sagt Frank Uwe Pfuhl, der das Aussterben der Insekten seit seiner Jugend beobachtet. Eher ein Pragmatiker: Zum einen hat er sich mit einem Fachbüro für ökologische Planung und Regionalentwicklung selbstständig gemacht. Zum anderen engagiert er sich seit über 40 Jahren ehrenamtlich beim Naturschutzbund (NABU). FOTO: WESSEL

Insekten sind die heimlichen Herrscher unseres Planeten«, sagt Frank Uwe Pfuhl. Allein in Deutschland bringen es Käfer, Schmetterlinge, Wildbienen oder Wanzen auf rund 35 000 Arten. Und sie sind schon sehr, sehr lange da, länger als Dinosaurier oder Säugetiere, nämlich rund 500 Millionen Jahre. Doch ihre Herrschaft ist in akuter Gefahr.

Schon als Teenager streifte Pfuhl durch die Wetterau, um Laufkäferarten zu bestimmen. »Vor zehn Jahren habe ich das wiederholt«, sagt der 57-Jährige, der sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich im NABU Wetterau engagiert. »Viele Arten habe ich nicht mehr angetroffen.«

Naturschutzgebiete sind zu klein

Seine Erfahrung deckt sich mit dem, was Wissenschaftler gemessen haben: Seit 1989 gibt es 75 Prozent weniger Biomasse an Fluginsekten. Die bekannte Krefelder Studie bezieht ihre Daten ausgerechnet aus deutschen Naturschutzgebieten: Die müssten doch Inseln der glückseligen Insekten sein? Im Wetteraukreis gibt es immerhin 42 solcher Schutzgebiete, das größte davon 220 Hektar.

»Das ist noch zu klein, als dass hier seltene Arten dauerhaft überleben könnten«, sagt Pfuhl und erklärt, dass die Umweltverschmutzung (»böses Wort«) durch fossile Brennstoffe und landwirtschaftliche Düngung auch vor Schutzgebieten nicht haltmacht. Auch die »Verinselung« sei ein Problem: Dadurch werde der genetische Austausch eingeschränkt, was einem langsamen Aussterben der Arten gleichkomme.

Wichtige Pflanzen verschwinden

Pfuhl hat an einem Tisch im NABU-Lehrbiotop in Niddatal-Assenheim Platz genommen. Um ihn herum: Das satte, saftige Grün der im Wind wogenden Wiesen. »Die Wiese ist zu grün«, sagt er. »Es fehlen die lila, weißen, gelben, pinken Blüten.«

Der Wilden Möhre etwa werde durch zu frühe Mahd oder zu intensive Düngung oft der Garaus gemacht. Pech für den Schwalbenschwanz: Der Schmetterling nasche als Erwachsener zwar vom Schmetterlingsflieder (»kein einheimisches Gehölz«), seine Raupen aber essen nur die Wilde Möhre oder verwandten Arten.

Und so sagt eine Art nach der anderen in der Wetterau leise Servus. Bestimmte Bläulingsarten habe er vor 30 Jahren noch im Naturschutzgebiet Krebsbachtal bei Kaichen kartiert, erinnert sich Pfuhl. »Dort sind sie nicht mehr.« Möglich, dass sich die Schmetterlinge, über die man »früher überall gestolpert« sei, noch auf einer versteckten Wiese erhalten haben.

Weniger Insekten heißt: Weniger Nahrung für Insektenfresser

Immerhin, es gebe noch potenzielle Standorte für den Wiesenknopfameisenbläuling, das Mähried bei Staden oder das Bingenheimer Ried: Hochwertige Wiesen, wo die Schmetterlinge jene Pflanze und jene Ameise finden, mit denen sie in einer symbiotischen Dreiecksbeziehung leben (siehe Info 1).

Der Insektenschwund bedeutet nicht nur weniger Bienen, die Blüten bestäuben, sondern auch 75 Prozent weniger zu Essen für viele Hundert andere Tierarten, die von Insekten abhängig sind. »Würde man der Menschheit drei Viertel ihrer Nahrung wegnehmen, es wäre eine humanitäre Katastrophe.«

Entsprechend sind auch Amphibien, Reptilien, Fledermäuse, Igel, Maulwürfe oder Spitzmäuse in der Wetterau auf dem Rückzug. 1986 hatte der Assenheimer seinen ersten Krötenzaun aufgestellt und an einer Stelle rund 2000 Tiere über die Straße getragen. »Jetzt sind es zwischen 50 und 200. Und an manchen Stellen gibt es gar keine Amphibien mehr.«

Landschaftliche Veränderungen

Es zwitschert im Surround-Sound aus den blühenden Bäumen: Zilpzalp, Nachtigall und Hausrotschwanz feiern lautstark den Frühling. Pfuhl rückt das Bild zurecht: »Die Vögel, die wir gerade hören, sind die Letzten ihrer Art.« Auch ihnen geht das Futter aus. Selbst das Rebhuhn, das sich im Erwachsenenalter auf Körner spezialisiert, füttert seinen Nachwuchs mit Insekten.

Er zucke immer zusammen, wenn entlang des Nidda-Radweges die Hecken radikal beschnitten würden, bieten sie doch Schutz- und Lebensraum für Insekten und Vögel. Zumal die Wetterau in den letzten 80 Jahren durch landschaftliche Veränderungen viele Tausend Kilometer an Schutzräumen verloren habe, etwa Altgrasstreifen zwischen Feldern, da Landwirte immer größere Flächen bewirtschaften müssen.

Noch ist es nicht zu spät

Zwar sind manche Insektenarten seltener geworden, doch die Artenvielfalt ist noch weitgehend intakt. »Wir können den Hebel noch umwerfen«, betont Pfuhl, obwohl Naturschutz gerade politisch zurückgefahren werde.

Er wünscht sich mehr Bio, mehr Schutzräume mit blühintensiven Bereichen mit heimischen Pflanzen und vernetzte Naturschutzgebiete. »Das ist meine einzige Motivation, weiterzumachen.«

Nicht zuletzt seien auch wir Menschen Teil der Nahrungskette: »Wenn Insekten aussterben, wird auch ein Leben für den Menschen auf der Erde nicht mehr möglich sein.«

INFO 1: Eine Dreiecksbeziehung

Die Wechselwirkungen in der Natur sind zu vielseitig und komplex, um sie in einem Zeitungsartikel vollständig darstellen zu können. Frank Uwe Pfuhl wählt zur Veranschaulichung »ein einfaches Beispiel«, stellvertretend für das Insektenreich: Den Wiesenknopfameisenbläuling, eine Schmetterlingsart, die sich auf eine einzelne Pflanze spezialisiert hat, den Wiesenknopf, der in Auennaturschutzgebieten wie dem Mähried bei Staden vorkommt.

Die Raupen des Schmetterlings ernähren sich ausschließlich vom Wiesenknopf. Nach der Häutung lässt sich die Schmetterlingsraupe auf den Boden fallen und wartet, dass sie von einer speziellen Knotenameisenart in deren Bau getragen wird. Den Stallgeruch der Ameise hat sie nämlich perfekt imitiert. Im Bau wird sie sich nun von der Brut und den Vorräten der Ameise gründlich sattessen, wachsen - und nach der Verpuppung das Weite suchen. »Bei jeder Art würden wir acht bis zehn Mitspieler finden, die alle zusammen agieren«, sagt Pfuhl. »Darum können wir es uns eigentlich nicht erlauben, dass nur eine Art ausstirbt.«

INFO 2: Was kann man tun?

Wenn du die Welt verändern willst, beginne bei dir selbst, beziehungsweise in deinem Garten. Dort nämlich, im heimischen Grün, könne man leicht vielen heimischen Tierarten Brutplätze und Nahrung zur Verfügung stellen, sagt Frank Uwe Pfuhl. Er empfiehlt Regiosaatgut für eine artenreich blühende einheimische Fauna, Gleiches gilt für Sträucher, die gerne dornig sein dürfen. Ein Gartenteich und Trockensteinmauern bieten weitere Lebensräume. Zum Rasenmähen regt Pfuhl an, die »Killermaschine Rasenmäher mit 95 Prozent Tötungsrate« gegen die Sense auszutauschen. Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, findet in Pfuhls Buch »Der naturnahe Garten« (Morlant-Verlag, 18,90 Euro) entsprechende Tipps. (wjs)



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