26. September 2024, 19:48 Uhr

»Büdingen belesen«

Die Liebe eines Lebens: Volker Weidermann stellt »Mann vom Meer« vor

Literaturstar Volker Weidermann eröffnet die Saison »Büdingen belesen« mit seinem neuesten Roman »Mann vom Meer« über den großen Schriftseller Thomas Mann. Dabei kommt es auch zu einer familiären Begegnung.
26. September 2024, 19:48 Uhr
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Familiäre Verbundenheit: Rolf und Birgit Weidermann aus Bleichenbach, Onkel und Tante von Volker Weidermann (rechts), sind Gäste der Lesung über »Mann und Meer«. FOTO: WEBER

. Ein Mann mit sympathischem Lächeln schlendert fröhlich am Mittwochabend in die Willi-Zinnkann-Halle in Büdingen, mit seinem Buch »Mann vom Meer« unterm Arm, als wäre er kein Star. Und doch ist er einer. Unbestritten.

Volker Weidermann, ein echter Hochkaräter in der Literaturwelt. Literaturkritiker und Moderator. Er schreibt und schrieb für die »Zeit«, die »FAZ« und den »Spiegel« und ist seit Februar Kulturkorrespondent der »Zeit« und von »Zeit online«.

Und: Er ist Autor von zahlreichen Werken mit biografisch-historischem Hintergrund. Eben eines dieser Bücher, sein neuestes mit dem Titel »Mann vom Meer«, stellt der gebürtige Darmstädter zum Auftakt der Reihe »Büdingen belesen« vor.

Volker Weidermann, der Literaturkritiker und Fernsehmoderator, sagte einst auf die Frage, wie er arbeitet - egal ob in Texten und Essays oder auch im »Literarischen Quartett« als Nachfolger des äußerst streitbaren Literaturpapstes Marcel Reich-Ranicki: »Ich möchte anregen und die Zuschauer reizen, sich auch für schwierige Bücher zu interessieren. Ich möchte in einer Weise über Literatur sprechen, die mehr Zuschauer ein- als ausschließt.«

Autor schließt Publikum mit ein

Das hat er am Mittwochabend unter Beweis gestellt. Aber, ein Wermutstropfen: Die kleine Halle ist nicht voll besetzt. Das mag daran liegen, dass das Thema »Thomas Mann« und sein Leben Berührungsängste weckt - denkt so mancher sofort schaudernd an die Schulzeit und den Zwang, die »Buddenbrooks« zu lesen, zurück.

Aber, es sind etwa 50 Gäste gekommen: Menschen, die sich ganz freiwillig und gern mit Literatur beschäftigen. Sie alle sind gespannt auf Weidermann und den »Mann vom Meer«. Und der Autor schließt das Publikum ein, nicht aus, stellt das, was er einst sagte, unter Beweis.

In seinem Buch geht es um das Leben des Nobelpreisträgers Thomas Mann und seine immerwährende Liebe zum Meer. Für ihn aber nicht nur ein Ort der Sehnsucht, sondern auch schmerzhafter Sog ins Ungewisse.

Seine Mutter Julia Mann wurde an der Südküste Brasiliens geboren. Aus dieser unberührten Welt der Schönheit gerissen - Julia wurde ins kalte Deutschland verfrachtet -, heiratete sie mit 18 Jahren in Lübeck.

Ihr Sohn Thomas, der spätere Schriftsteller, wächst also an der Ostsee auf, reist später viel, immer an Orte, die am Meer liegen. Weidermann konnte keinen passenderen Titel für sein Werk aussuchen: »Mann vom Meer«. So einfach und doch so genial.

Weidermann liest, aber er liest nicht nur. Immer wieder hält er inne, schaut auf, mal schmunzelt er, mal schaut er ernst - alles immer nachdenklich. Es scheint, als könne der 54-Jährige seinen Gästen ein wenig in die Seele schauen, nachspüren, wie er ihnen die Gefühlswelt Manns am besten nahebringen kann.

Er ist nicht nur eloquent, redegewandt. Er berührt sein Publikum. Einem Psychologen gleich beschreibt er die Zerrissenheit des Nobelpreisträgers Mann, der zeit seines Lebens Männer liebte und diese Liebe doch nicht leben durfte.

Lieblingstochter teilt Liebe zum Meer

Er beugte sich den Zwängen der Zeit des Kaiserreichs und heiratete eine Frau namens Katia. Weidermann zitiert viele Sätze Manns, betont mehrmals, dass dieser seine Ehe mit Katia als »Verfassung« bezeichnete.

Und doch war es eine starke Ehe, wie der Schriftsteller erzählt, in der beide Parteien der »Verfassung« ehrlich miteinander waren und Katia immer um die homosexuelle Neigung ihres Mannes wusste.

Sie bekamen zusammen sechs Kinder. Thomas Manns Lieblingskind war sein fünftes, Elisabeth, die später seine Liebe zum Meer auch sich zu eigen machte. Sie wurde Seerechtsexpertin und machte sich um die Meere als schützenswertes und überlebenswichtiges Gemeingut auf dieser Welt verdient.

Weidermann im Gespräch mit dieser Zeitung: »Ich habe Elisabeth Mann-Borgese leider nicht mehr kennenlernen dürfen. Aber ich war auf dem deutschen Forschungsschiff, das ihr zu Ehren ihren Namen trägt.

Ich wollte den Geist der Lieblingstochter von Thomas Mann spüren. Die Forscher meinten dazu: Ein Spinner ist also auch mit an Bord«, lacht Weidermann.

Volker Weidermann fährt im Anschluss der Veranstaltung übrigens mit zu Onkel Rolf und Tante Birgit - beide Gäste der Lesung - nach Bleichenbach und übernachtet dort.

»Das finde ich viel schöner als im Hotel. Vorhin gab’s schon Königsberger Klopse. Lecker. Ich konnte gestärkt hier in Büdingen auftreten.« Ein Literaturstar, bodenständig und sympathisch.

Info: Tiefe Leidenschaft für Literatur

Volker Weidermann lebt und arbeitet in Berlin. Er ist 54 Jahre alt und stammt aus Darmstadt. Studiert hat er Politikwissenschaften und Germanistik in Heidelberg und Berlin. Er war Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Gastgeber des »Literarischen Quartetts« im ZDF.

Seine Werke wie »Das Buch der verbrannten Bücher« (in dem es um die Werke geht, die 1933 von den Nazis verbrannt wurden) zeigen seine tiefe Leidenschaft und Verbundenheit mit literarischen Themen und der Geschichte der Literatur.

Für das Buch erhielt Weidermann 2009 den Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik.

Eines seiner bekanntesten Werke ist »Das Duell«. Darin beschreibt er das Verhältnis zwischen dem Schriftsteller und Nobelpreisträger Günter Grass und dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. »Mann vom Meer« ist sein neuestes Buch. Andrea Weber



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