06. Mai 2025, 18:54 Uhr

Prozessauftakt

Tankstellen in Hungen und Staufenberg überfallen

Eine Überfallserie aus 2018 muss neu aufgerollt werden, denn die Staatsanwaltschaft beantragte Revision gegen den Freispruch.
06. Mai 2025, 18:54 Uhr
SOW
Auch die Agip-Tankstelle in Staufenberg ist Tatort einer Überfallserie im Jahr 2018. Foto: Wisker

. Insgesamt acht Überfälle auf Tankstellen und Spielotheken im Gießener Raum und im Kreis Marburg-Biedenkopf soll ein heute 33-jähriger Mann aus Marburg in den ersten drei Monaten des Jahres 2018 begangen haben. Bei zwei Taten soll eine heute 50-jährige Frau aus Kirchhain Beihilfe geleistet haben. Warum sind die Taten erst jetzt in Gießen angeklagt? Hierbei handelt es sich um ein Revisionsverfahren.

Gegen Freispruch Revision beantragt

Die Fälle wurden bereits am Landgericht Marburg verhandelt. Im März 2019 waren die beiden Angeklagten zunächst freigesprochen worden.

Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin Revision gegen das Urteil.

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe verwies das Verfahren schließlich an das Landgericht Gießen. Der BGH hatte die »Begründungsdichte« des Freispruches gerügt.

Nun muss sich die siebte große Strafkammer unter Vorsitz von Andreas Wellenkötter mit dem Sachverhalt befassen.

Äußern möchten sich die beiden Angeklagten nicht, wie ihre Strafverteidiger mitteilten.

Tatorte in Hungen und Staufenberg

Dem Haupt-Angeklagten wird vorgeworfen, im Zeitraum vom 10. Januar bis 14. März 2018 insgesamt acht Raubüberfälle begangen zu haben. Die Beute belief sich jeweils zwischen rund 500 und 1500 Euro. In einem Fall blieb es bei einen Versuch.

Am frühen Morgen des 10. Januar soll der damals 25-Jährige eine Tankstelle in Hungen überfallen haben; am 25. Januar wurde eine Tankstelle in Staufenberg zum Tatort. Dorthin soll die Mitangeklagte den mutmaßlichen Täter in ihrem Auto hingefahren und wieder abgeholt haben.

Beide Male sei der Täter mit vorgehaltener Waffe, einem silberfarbenen Revoler oder einer täuschend echt aussehenden Scheinwaffe, in den Verkaufsraum gerannt. Den beiden anwesenden Tankstellen-Mitarbeitern in Hungen habe der Räuber mit der Waffe «vor der Nase rumgefuchtelt«, wie eine ehemalige Mitarbeiterin vor Gericht aussagte. Die heute 72-Jährige meinte lakonisch: »Der hatte keine Zeit.« Ob der Angeklagte der Täter gewesen sei, konnte sie nicht sagen.

»Ich konnte nur seine blauen Augen erkennen.« Der Rest sei verdeckt gewesen. »Er hat akzentfrei deutsch gesprochen« erinnerte sie sich noch. Allerdings habe er auch nicht viel gesprochen. Nur: »Überfall, Geld her.« Mehr habe der Täter nicht gesagt.

Wie sie die Tat verkraftet habe, wollte das Gericht wissen. »Erst ging es mir nicht so gut, kurzzeitig ist Panik in mir hochgekommen«, erzählte sie. Wie lange habe dieser Zustand angehalten, fragte das Gericht nach. »Etwa fünf Minuten«, so die Rentnerin. Weniger gut hatte die ehemalige Mitarbeiterin der Tankstelle in Staufenberg den Überfall am Abend des 25. Januar 2018 weggesteckt. »Die Mitarbeiterin war ziemlich fertig und hat gezittert«, so die Aussage eines 53-jährigen Kriminaloberkommissars vom Kriminal-Dauerdienst in Gießen. Die heute 54-jährige Angestellte berichtete vor Gericht, dass sie während des Überfalls auf gar nichts habe achten können. »Das ging alles wahnsinnig schnell und ich habe nur wie eine Maschine funktioniert«, erzählte sie.

Erst im Nachhinein, als sie selbst die Bilder der Überwachungskamera gesehen habe, habe sie wirklich realisiert, was ihr widerfahren sei. Der Täter sei jung gewesen und hektisch. Er habe gesagt. »Geld her« und sie habe sich beeilen sollen.

Auch in Gladenbach, Kirchhain und an verschiedenen Orten in Marburg soll der Mann Tankstellen und Spielotheken überfallen und Geld geraubt haben.

Bemerkenswert ist, dass die Polizei den damals für einige Zeit in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Gießen befindlichen Angeklagten im Besuchszimmer abgehört hatte, als er mit seiner damaligen Lebensgefährtin sprach.

»Lauschangriff« auf Angeklagten?

Hierfür hätten Mitarbeiter des Landeskriminalamtes für die Marburger Ermittler entsprechende Abhöreinrichtungen installiert. Um dem Angeklagten eine »Ungestörtheit« zu suggerieren, so der Vorwurf der Strafverteidiger, habe gar ein Mitarbeiter der JVA für einige Minuten den Besuchsraum verlassen, was normalerweise nicht üblich ist.

Aufgrund dessen legte die Verteidigung Widerspruch gegen diese Art der Beweiserhebung ein. »Es handelt sich hierbei um einen Lauschangriff, mit der die Ermittlungsbehörden die Privatheit in dem Besuchsraum der JVA ausgenutzt haben«, sagte Strafverteidiger Stefan Adler. Richter Wellenkötter fragte den als Zeugen geladenen 44-jährigen Polizeibeamten, warum man von Ermittlerseite damals so vorgegangen sei.

»Hat der JVA-Mitarbeiter den Raum bewusst verlassen?«, fragte Wellenkötter. Angeordnet habe er das nicht, so der Zeuge. Der Mitarbeiter sei vielleicht zwei oder drei Minuten nicht in dem Besuchsraum gewesen.

Der Vorschlag zur Überwachung sei aus der Ermittlergruppe gekommen und bei der Staatsanwaltschaft beantragt worden.

Man habe sich erhofft, dass der Angeklagte mit seiner Freundin möglicherweise über die Taten sprechen werde. Strafverteidiger Adler sprach im Nachgang von dem Vorgehen als einem »Ausdruck von Verzweiflung.«

Der Prozess, für den zehn Verhandlungstage vorgesehen sind, wird am 13. Mai fortgesetzt.



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